Gemeinsam statt einsam: Führungsstrukturen neu denken für bessere bereichsübergreifende Zusammenarbeit

Fünf Hebel für nachhaltige Transformation von Führung in Unternehmen

Lesedauer 8 Minuten

Du wirst als Führungskraft zunehmend zum Spielball von Konflikten verschiedener Unternehmensbereiche? Als überlasteter Engpass an der Bereichsspitze löschst Du erfolglos die Brände an den Schnittstellen? Dann könnte es an der Zeit sein, einen Schritt zurückzutreten und Eure Führungsstrukturen zu überdenken. Für den Schritt aus dem Hamsterrad geben Dir unsere Pioniere Marcus Minzlaff und Dr. Christopher Lohmann fünf wirksame Hebel an die Hand, bereichsübergreifende Zusammenarbeit und nachhaltige Unternehmensführung zu etablieren. Dieser Beitrag bildet den Abschluss unserer vierteiligen Blogreihe zum Thema Leadership Resilienz. Grundlage unserer Lösungsansätze ist das Pioneers LeaderSHIFT-Modell.

Ein typischer Start in den Führungsalltag von Kirsten, IT-Bereichsleiterin: Eine Nachricht ihres Bereichsleiter-Kollegen Thorsten wartet in ihrem Posteingang. Es gibt mal wieder eine Beschwerde über die Zusammenarbeit zwischen ihrem und seinem Bereich. Er bittet um ein Gespräch. Kirsten seufzt, denn das wiederholt sich zum zigsten Mal. Sie ist verantwortlich für 100 IT-Mitarbeitende eines mittelgroßen Konzerns. Ihre Mitarbeitenden arbeiten den Fachabteilungen zu und sollen deren Anforderungen umsetzen. Dabei knallt es ständig gewaltig. Die Fachabteilungen sind unzufrieden damit, wie langsam ihnen IT zuarbeitet. Und dann passen die Anwendungen oft noch nicht einmal. Der IT-Bereich von Kirsten ist wiederum zunehmend gefrustet und verunsichert, denn: Die Fachabteilungen kommen mit ungefilterten und mit unklaren Aufträgen auf sie zu. Sie rödeln, aber keine:r ist mit ihren Ergebnissen zufrieden. Jegliche Eskalation und Klärung läuft über die Chefs und Chefinnen. Ein nicht enden wollendes Hamsterrad, oder?!

Wie können wir Führung besser organisieren?

Diese Situation begegnet uns häufig in Unternehmen. Führungskräfte werden zunehmend zum Spielball der Konflikte ihrer Bereiche. Sie versuchen, diese in diversen Abstimmungsschleifen und Meetings mehr oder weniger erfolgreich zu lösen: Wahlweise mit Kompromissen, die wenige wirklich gut finden oder mit einsamen Entscheidungen nach dem Motto „Da mache ich mal eine klare Ansage.“– die nur wieder neue Probleme schaffen. Unter dem Strich sorgt das meist nur dafür, dass sich das Hamsterrad noch schneller dreht und die inhaltliche Arbeit noch langsamer vorankommt.

Erstens: Sorge für eine bereichsübergreifende Zusammenarbeit durch neue Führungsstrukturen

Kirsten steigt aus – aus dem Hamsterrad. Sie hat erkannt, dass die einzelnen Mitarbeitenden nicht das Problem sind. Das System ist das Problem. Statt sich weiter am Verhalten oder dem vermeintlichen Mindset der Kolleg:innen abzuarbeiten, braucht es den sprichwörtlichen Schritt zurück und den Blick auf die Führungsstrukturen.

(Bereichsübergreifende) Zusammenarbeit ist bei ihnen hierarchisch und getrennt nach Fachbereichen organisiert. Das bringt verschiedene Probleme mit sich, vor allem, wenn immer mehr zusammenhängende Ansätze anstatt Insellösungen gefordert sind:

  • geringer Austausch und Absprache
  • wenig bis keine crossfunktionale Zusammenarbeit
  • unklare Verantwortungen
  • Dinge werden zu spät oder falsch ausgeliefert
  • Überlastung bei einzelnen Führungskräften
  • mangelnder Kund:innenfokus

Viele Führungskräfte machen genau das, was die Struktur von ihnen verlangt: ihren eigenen Bereich optimieren. Blöd nur, wenn sich das immer seltener magisch zu einem gut funktionierenden Ganzen fügt. Kirstens erstes Ziel ist nun: Führung so zu strukturieren, dass sie bereichsübergreifende Zusammenarbeit fördert und nicht hemmt.

In vielen Unternehmen ist Führung hierarchisch organisiert. Wie in einer Pyramide konzentrieren sich Macht und Entscheidungsbefugnisse immer weiter nach oben. So hängt die Last zunehmend an der jeweiligen Spitze. Damit hängt auch die Verantwortung an einer oder wenigen Personen: ein vorprogrammierter Engpass. In Krisensituationen kann das hilfreich sein. Doch was bewirkt dies auf Dauer in komplexen Umfeldern? Im Falle von Kirsten führt es dazu, dass sie nur noch mit Brandlöschen beschäftigt ist – und ungewollt vielleicht selbst immer wieder Feuer anfacht. Und was würde erst passieren, wenn sie ausfällt? Welcher Stau entsteht dann in der Pyramide und welche nächsten Brandherde fangen an zu lodern?

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Schaffe resiliente Führungsstrukturen

Wir schreiben in unserer Reihe immer wieder von Leadership Resilienz, von Führung, die Organisationen auch durch schwieriges Fahrwasser steuert. Das hat hier offensichtlich nicht nur mit resilienten Führungskräften zu tun. Was es braucht, ist eine resiliente Führungsorganisation – anstelle von Führungskräften, die zwar resilienter sind, aber Engpässe darstellen und dauerhaft mit Brandlöschen beschäftigt sind. Eine Führungsorganisation, die deutlich weniger lineare und hierarchische Abhängigkeiten von Einzelnen aufweist. Kirsten möchte, um im Bild zu bleiben, die Last verteilen, auf Kooperation setzen und damit ein resilienteres Gesamtsystem schaffen, das mit Komplexität besser umgehen kann.

Resiliente Führungsstrukturen: hier dargestellt durch eine Biene, die durch ihr Pollensammeln ihren Teil zum Ganzen beiträgt.

Bildquelle: Luca J. auf Unsplash

Fachlich exzellente Führung ist kein Garant für gute Menschenführung

Neben der Fähigkeit, in Komplexität gut zu „funktionieren“, gibt es weitere gute Gründe, Führung anders zu verteilen. Lass uns dafür anschauen, wie Führungskräfte in der Vergangenheit zu ihren Führungspositionen gekommen sind. Oft haben sie sich aufgrund fachlicher Expertise hervorgetan. Sie werden in Folge mit mehr Verantwortung betraut und nehmen Teamleitungsaufgaben wahr. Mit der Zeit steigen sie die Karriereleiter weiter hinauf und die (disziplinarische) Verantwortung für Menschen nimmt zu: Sie führen nun fachlich und menschlich. Jedoch ist nicht jede:r dafür geeignet. Und manchmal passen individuelles Führungsverhalten und das von der Organisation „erlaubte“ nicht zusammen. Die Unzufriedenheit und die Ausstiegsrate steigen – auf beiden Seiten. Bei Führenden und Geführten. Deshalb muss Führung anders gedacht und verteilt werden.

Fachkräftemangel und demographischer Wandel erfordern eine neue Art von Führung

Wie Katja Petry und Stefan Gladbach in ihrem Beitrag des personalmagazins, Ausgabe 4/2023, „Doppelte Energie, geteilte Führung“ von Yello berichten, hilft die neue Form und Verteilung von Führung im hart umkämpften Arbeitsmarkt. Für Kandidat:innen wird es attraktiver, für Yello zu arbeiten. Indem Selbstorganisation und Augenhöhe in der Zusammenarbeit gefördert werden, fühlen sich jene Menschen angesprochen, welche die gewünschte Kultur unterstützen.

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Zweitens: Kläre Dein „Warum“ für verteilte Führung

All diese Beispiele zeigen: Es gibt viele Gründe, (bereichsübergreifende) Zusammenarbeit anders zu gestalten. Führung zu verteilen, nur weil das gerade angesagt ist, fällt Dir allerdings schnell auf die Füße. Mit verteilten Führungsrollen mutest Du Dir und der Organisation einiges zu. Was ist also das Ziel für Dich, wenn Du darüber nachdenkst, Führung zu verteilen und Führungsstrukturen sowie -rollen im Unternehmen zu gestalten? Wir empfehlen, dass Du Dich intensiv mit dieser Frage auseinandersetzt! Denn die Veränderung, die Du damit im Unternehmen in Gang setzt, ist nicht ohne!

Mögliche Gründe, Zusammenarbeit anders zu gestalten und Führungsstrukturen zu überdenken:

  • Kund:innenbedürfnisse (wieder) schneller erfüllen
  • Employer Branding, Attraktivität als Arbeitgeber:in steigern
  • Mitarbeitendenzufriedenheit steigern
  • Überleben Deines Unternehmens sicherstellen (siehe Punkt 1)
  • Eigene Motivation: Du willst anders führen und führen lassen
  • Aus (D)einer, Haltung heraus: Führung Y statt X
  • Verantwortung (und Aufgaben) verteilen: Entlastung Deiner Person und Deiner Führungskräfte
  • Die Resilienz Deiner Organisation stärken und leistungsfähiger für komplexe Anforderungen machen

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Die Veränderung der Führungsstrukturen gelingt nicht ohne Führungskraft!

Dazu ein Beispiel aus einem Kundenprojekt: Ein sinngetriebenes und gleichzeitig traditionelles Unternehmen hatte viel für seine Entwicklung der Führungskräfte getan. Trainings, Kulturworkshops, Coachings, Mitarbeitendenbefragungen und mehr. Jetzt sollte Führung auch strukturell anders aufgestellt werden. Nun posaunt der Bereichsleiter allen Ernstes in einem Workshop laut raus „Jetzt, wo wir uns agil aufstellen und Führung verteilen, werden wir keine Führungskräfte mehr brauchen!“ Mitnichten: Ganz zu schweigen von der demotivierenden Wirkung dieser Aussage, ist genau das Gegenteil der Fall! Wenn Du anfängst, Führung im Unternehmen zu verteilen, braucht es noch viel mehr Führung von Dir und von Deinen Führungskräften. Nur eben eine andere Art von Führung. Du wirst mehr denn je als Coach und Begleiter:in gefragt sein und weniger als durchsteuernde Kraft. Mehr als Mitgestalter:in der Rahmenbedingungen und des Führungssystems an sich und weniger als nur ausführende Kraft innerhalb des Systems.

Hast Du für Dich geklärt, aus welchen Gründen Ihr bei Euch Führung anders verteilen wollt und hältst es immer noch für sinnvoll? Fragst Du Dich nun, wie Du dies angehen kannst?

Drittens: Definiere unterschiedliche Führungsrollen und baue damit effektive Führungsteams

Lass uns dafür zuerst einmal verschiedene Arten von Führungsaufgaben anschauen. Wir haben uns für folgendes Denkmodell entschieden und finden vier Aspekte von Führung – und deren Verteilung – besonders wichtig:

  • Fachliche Führung: Bei der fachlichen Führung geht es um das „Was“. Diese Rolle trägt wirtschaftliche Verantwortung im Sinne von Kund:innennutzen stiften. Oft sind solche Rollen als PO (Product Owner) benannt.
  • Menschenführung: In der Menschenführung geht es darum, das Individuum zu entwickeln und sein Potential zu fördern. Hier ist oft die disziplinarische und manchmal auch die strategische Verantwortung verankert.
  • Prozessuale Führung: Bei der prozessualen Führung ist die Rolle verantwortlich für ein produktives und kollaboratives Team. Ein entscheidender Hebel in dem Szenario, das wir eingangs geschildert haben. Meist ist sie als Scrum Master:in oder Agile Coach:in bekannt.
  • Selbstorganisation: Und dann gibt es den Aspekt der Selbstorganisation. Hier geht es um die Führungsverantwortung des Individuums und Teams. Beide haben die Verantwortung für das „Wie“ und stehen dafür ein, dass sie Wertschöpfung erbringen. In diesem Kontext müssen sie lernen, sich selbst gut führen zu können.

Wir sprechen von verteilter Führung, wenn wir anfangen, diese Führungsaufgaben aufzuteilen. Dies ist erst einmal nur ein Denkmodell, was Dir dabei helfen soll, Führung(srollen) zu überdenken und neu zu verteilen. In Unternehmen resultiert das in einer Vielzahl von unterschiedlichen Führungsstrukturen, die zur jeweiligen Organisation passen sollten.

Bei Thema Führungsstrukturen bedeutet agile Leadership verteilte Führung, hier dargestellt durch eine Grafik mit einem Kuchendiagramm, das in die Punkte Menschenführung, Selbstorganisation, prozessuale Führung und fachliche Führung unterteilt ist.

Bilduntertitel: Agile Leadership bedeutet verteilte Führung

Viertens: Ein kleiner Exkurs – Verteilte, geteilte oder laterale Führung?

In den derzeitigen Diskussionen rund um agile Führung gibt es immer wieder Fragezeichen wegen ähnlicher Begriffsbezeichnungen von Führungsmethoden. Drei oft verwendete davon erläutern wir kurz:

  • Verteilte Führung (distributed leadership):
    Führungsverantwortung ist auf mehrere Personen beziehungsweise fest definierte Rollen verteilt: auf prozessuale, fachliche und disziplinarische Führungsformen.
  • Geteilte Führung (Shared Leadership):
    Bei geteilter Führung hingegen ist das Führungsverständnis situativ bedingt und dynamisch. Je nach Situation und Kompetenz einzelner Teammitglieder verändern sich die Rollen. Je nach Anlass gehen Menschen in Führung und andere entscheiden, sich zu folgen. Randolf Jessl und Thomas Wilhelm fassen das sehr treffend in ihrem Buch „Shared Leadership“ zusammen: „Es geht bei Shared Leadership nicht um Führungskräfte sondern um Führungskraft!“ (Seite 55).
  • Laterale Führung:
    Laterale Führung meint „Führung von der Seite“. Bei diesem Führungskonzept wird disziplinarische Macht von der Führungsrolle abgespalten. Die Person führt über fachliche und prozessuale Expertise und ohne Weisungsbefugnis. Solche Führungsrollen findest Du immer häufiger in Organisationen und viel im Kontext von Aufgaben mit Projektcharakter.

Lesetipp: Ein Plädoyer für agile Führungsmethoden

Fünftens: Sorge dafür, dass die Führungsstrukturen gelebt werden können.

“Führung ist viel zu wichtig, um sie nur Führungskräften zu überlassen.“ Bernd Oestereich

Verteilte Führung braucht einen ganzheitlichen Ansatz! In diesem Beitrag haben wir uns intensiv mit den Rahmenbedingungen für gelungene Führung beschäftigt, die notwendig für eine neue Form der Zusammenarbeit sind. Wichtig ist jedoch, dass die Verteilung von Führung dabei nur eines von vier Puzzlestücken ist. Andere Rollen, Strukturen und Prozessen lösen Deine Probleme nicht, wenn diese ein anderes Maß an Fähigkeiten verlangen, die noch nicht verinnerlicht sind. Zum Beispiel Vertrauen, Kooperationswille, Selbstreflexion, Demut … Und umgekehrt: Andere Fähigkeiten und Haltungen führen Dich nicht weit, solange die Rahmenbedingungen und die Kultur unverändert bleiben.

Wenn Du Führung ganzheitlich verändern und wirksamer gestalten willst, musst Du Dich auch den anderen drei Puzzleteilen Verhalten, Haltung und Kultur widmen. Wir haben uns mit diesen dreien in den vorhergegangen Blogbeiträgen bereits intensiv beschäftigt und gebe Dir darin einige praktische Tipps an die Hand:

Anstrengend und Mut machend zugleich: Es gibt keine Abkürzung zu einer neuen Art von Führung. Anstrengend, weil Du nichts auslassen kannst. Mut machend, weil Du, egal, bei welchem der vier Puzzleteile Du anfängst, bereits Veränderungen bewirkst – bei Dir und bei Deinen Mitarbeitenden! Nur bleib dort nicht stehen! Denn das würde erst recht für Probleme und Druck sorgen. Bearbeite alle vier Felder: Wenn Führung schon nicht einfacher wird, dann mach sie Dir wenigstens leichter!

Zitat: “The next superhero will be a community” Thich Nhat Hanh

Erfahre, wo Ihr beim Thema Führungsverhalten steht – mit dem Pioneers Leadership Radar

Möchtest Du Dir erst einmal einen Eindruck über Eurer Führungsverhalten im Unternehmen verschaffen? Nutze unser Feedbacktool, den „Pioneers Leadership Radar und erhalte wissenschaftlich erwiesene und zahlenbasierte Ergebnisse. Hier kannst Du unverbindlich und kostenlos Dein eigenes Führungsverhalten untersuchen. Danach weißt Du, wo Du ansetzen kannst, um Führung in Deinem Unternehmen wirksam zu verändern.

Tipp: Kostenfreies Feedbacktool für Führungskräfte und Teams
AutorInnen dieses Beitrags
Dr. Christopher Lohmann
Executive Advisor & Beirat

Seit 2022 unterstützt Christopher bei HR Pioneers die aktive Begleitung von Veränderungen. Der Führungs- und Managementebene und ihren Herausforderungen gilt dabei ein besonderer Fokus.

Marcus Minzlaff
Management Consultant

Marcus widmet sich der Aufgabe, mit Führungskräften und Teams in Transformationen ihren eigenen Entwicklungspfad zu gestalten, der einem immer komplexeren und volatileren Umfeld gerecht wird.


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