Führungsverständnis und die Sinnfrage

Teil 4 der Blogreihe "Führung in der Krise: Von Leadership Fatigue zu Führungs-Resilienz"

Leadership Fatigue Blogreihe Beitrag 4
Lesedauer 5 Minuten

Führungskräfte sind zunehmend überlastet und suchen Orientierung, eine Art Führungsmüdigkeit macht sich breit. In ihrer Blogreihe setzen sich unsere Pioniere Christopher Lohmann und Marcus Minzlaff mit dem Phänomen auseinander, das sie Leadership Fatigue nennen und derzeit in vielen Kund:innengesprächen erleben: die geforderte, gestresste, oft erschöpfte Führungskraft. Hier erfährst Du mehr zu Herausforderungen und Gründen, die zu Leadership Fatigue führen, und zu möglichen Lösungsansätzen auf Basis des Pioneers LeaderSHIFT-Modells. Heute widmen sie sich den Themen „Führungsverständnis und die Sinnfrage“. (Bildquelle: Jan Huber auf Unsplash.com)

Die Angst vor der eigenen Courage

Zugegeben: Der ambitionierte Nachwuchsmanager beeindruckt uns, als wir uns zum ersten Mal mit ihm treffen, um über die Transformation „seines“ Standortes zu sprechen. Drei Monate ist er in Funktion, hat zugehört, Zahlen, Daten, Fakten gesammelt und ausgewertet, alle Abteilungen und Gruppen hat er besucht und viele Menschen getroffen. Mit seinem Team hat er eine Strategie entwickelt, wie er die Einheit wieder stärker im Gesamtkonzern verankern will. Das ist nötig, genau dazu wurde er hergeschickt. Nicht nur zum Was, auch zum Wie hat er klare Vorstellungen, will Betroffene zu Mitstreiter:innen im Arbeiten am System machen, setzt auf Führung und Führungskräfte als Treiber der Transformation. Gemeinsam identifizieren wir ein Maßnahmenpaket für die Stärkung der Führungskräfte, Führung soll Raum bekommen und kollegiale Beratung als Prinzip eingeführt werden. „Lerngruppen für alle.“ freut sich der Manager. „Klar.“, sagen wir. „Eine für Dich und Deine Kolleg:innen. Am besten macht Ihr den Anfang.“ Plötzlich macht sich Unruhe breit. Nervös rutscht der Manager auf seinem Stuhl hin und her. „Okay … Da muss ich dann zugeben, dass ich Rat brauche, oder? Also, ob meine Kolleg:innen da mitmachen, das weiß ich jetzt nicht.“

Tradiertes Führungsverständnis versus mehr “Weiblichkeit” in der Führung

In den ersten drei Beiträgen unserer Blogreihe haben wir Herausforderungen skizziert, die Führungskräfte heute besonders fordern. Egal ob Führen auf Distanz oder die Organisation hybriden Arbeitens, ob Fachkräftemangel oder der Kampf um souveräne Mitarbeiter:innen. Viele Führungskräfte erleben ein Dilemma, um aktuelle Führungsherausforderungen erfolgreich zu bewältigen und dem Anspruch an moderne Führungsleitbilder zu genügen. Jenes traditionelle Führungsverständnis und -verhalten, das sie gelernt und bestmöglich angewendet haben – immerhin hat es sie ja in führende Rollen gebracht – wird grundlegend in Frage gestellt. Gefordert sind hingegen plötzlich andere Führungseigenschaften, die zu so etwas führen wie mehr “Weiblichkeit“ in der Führung: empathisch sein, Fragen stellen, zuhören statt senden, einbinden statt durchsetzen, Raum geben statt anweisen, psychologische Sicherheit herstellen. Führung wird plötzlich auf die Funktion reduziert und nicht länger als Privileg verstanden. Das Leitbild des Servant Leaders, der:die seinem:ihrem Team dienenden Führungskraft, greift um sich. Viele Führungskräfte fremdeln noch mit solchen Anforderungen – und manche fühlen sich in ihrem tradierten Führungsverständnis gekränkt.

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Die Fallhöhe des Top-Managements ist besonders hoch

Aber auch diejenigen Führungskräfte, die erkannt haben, dass sie etwas tun müssen, haben es allzu oft nicht leicht. Diejenigen, die sich aufmachen, um vermehrt diese „weiblich“ geprägte Seite von Führung zu leben. Sie treffen auf ein unmittelbares oder – im Top-Management – mittelbares Umfeld, das anders sozialisiert wurde und anderes erwartet. Selbst gewachsen in Zeiten traditioneller, männlich dominierter Führungsmodelle haben sich diese Manager:innen bewährt und sind die Karriereleiter weit nach oben gestiegen. Gerade erfolgreichen Manager:innen fällt die Trennung vom Tradierten besonders schwer: Sie haben es auf ihrem Weg weit gebracht und ihre Fallhöhe ist entsprechend besonders hoch. So prägt in vielen Kontexten das Führungsmodell des „alten weißen Mannes“ das Umfeld von oben und verhindert die notwendige Veränderung weiter unten. Hier liegen eine Menge Stolpersteine für den Führungsalltag und – ein Thema unserer Zeit – insbesondere für bewegliche und aufgeschlossene Führungskräfte.

Herausforderung durch verteilte Führungsrollen

Aber auch im umgekehrten Fall drücken Führungskräfte oft existentielle Sorgen. So etwa, wenn sich die oberste Führungsebene auf den Weg macht und zum Beispiel entscheidet: wir führen neue, agile Formen der Organisation und der Zusammenarbeit ein. Sie gehen oft mit verteilter Führung einher. Die Führungskraft, die alle fachlichen, disziplinarischen, strategischen und operativen Aspekte von Führung auf sich vereint, gibt es plötzlich nicht mehr. Führungsaufgaben werden aufgebrochen und verteilt. Führungskräfte müssen zurück auf die Schulbank und sich entscheiden: Wollen sie lieber fachlich oder lieber disziplinarisch führen, mehr menschen- oder doch eher aufgabenzentriert arbeiten? Oder gar eine der ganz neuen Führungsrollen übernehmen, die den Prozess des agilen Arbeitens selbst treiben.

Konfrontation mit der Sinnfrage

Es ist insofern nicht verwunderlich, dass sich mehr Führungskräfte denn je die Sinnfrage stellen. „Wofür bin ich eigentlich Führungskraft geworden? Entspricht die neue Form und Rolle von Führung noch dem, was ich mir einmal vorgestellt und gewünscht habe, wofür ich hart gearbeitet und viel trainiert habe? Wie attraktiv ist Führung für mich eigentlich noch? Gibt mir Führung noch Sinn? Und bleibt im Alltag aufgrund der vielen operativen Arbeit überhaupt genug Zeit für die Form von Führung, wie ich sie mir vorstelle und wünsche?“ Führungskräfte müssen sich heute mehr denn je die Frage stellen: “Welche Art Führungskraft möchte ich überhaupt werden? Und wozu ist mir Führung wichtig?”

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Krise als Dauerzustand macht müde.

Die Frage nach dem Sinn von Führung trifft auf Menschen, die angesichts der skizzierten multiplen Krisen auch privat enorm gefordert sind. Denn Klimakrise und Ukraine-Krieg samt der damit verbundenen Energiekrise und den wirtschaftlichen Auswirkungen führen überall zu Verunsicherung und der Suche nach Antworten. Die enorme Arbeitsbelastung und die besondere Verantwortung als Führungskraft sind in Einklang zu bringen mit privaten und familiären Themen. Es gilt als selbstverständlich, dass Führungskräfte ein Ohr für die privaten Themen und Herausforderungen ihrer Mitarbeitenden haben – nur was ist mit ihren eigenen Problemen? Wie allen Menschen macht auch Führungskräften die Lage Angst, entzieht ihnen Energie und erschwert ihren Arbeitsalltag. Letzteres insbesondere auch, weil sie gerade aus der Corona-Krise kommen inklusive der damit verbundenen Sorgen und Anstrengungen, mit der Pandemie umzugehen. Krise als Dauerzustand macht müde – auch in Sachen Führung.

Fight, flight, freeze?!

All diese steigenden Belastungen in der Arbeitswelt tragen dazu bei, dass Führung zunehmend in die Krise gerät. Fight-, Flight-, Freeze-Reaktionen gehen damit Hand in Hand: Während manche Führungskräfte in unzähligen Aktivitäten versinken nach dem Motto „Ich kämpfe mich da durch“ und dabei körperlich wie psychisch erschöpfen, sind andere so verzweifelt, dass sie sich nach einem anderen Job umschauen und/oder innerlich kündigen. Wiederum andere sind wie gelähmt und harren einfach der Dinge. Aushalten als Strategie. Doch was tun, um das Leadership-Fatigue-Phänomen zu stoppen? Einfache Lösungen gibt es nicht, eines aber ist klar: Es ist wichtig, größer zu denken. Wir brauchen ein Update unserer Führungsprinzipien. Und vor allem brauchen wir ganzheitliche Lösungen, die über das Verhalten von Führenden und Mitarbeitenden hinausgeht und in einen Gesamtrahmen einbettet. Als Denkmodell bietet das Pioneers LeaderSHIFT-Modell dazu Lösungsansätze und Orientierung.

Dies ist der vierte Teil der Blogreihe Leadership Fatigue. Die anderen Beiträge sind:

In unserer nächsten Blogreihe mit dem Thema „Auf dem Weg zu Leadership Resilienz“ zeigen wir Dir mögliche Wege aus der Leadership Fatigue. Hier geht es zu Teil 1 „Ganzheitliche Führung: Fünf Antworten für mehr Resilienz bei Führungskräften“.

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AutorInnen dieses Beitrags
Dr. Christopher Lohmann
Executive Advisor & Beirat

Seit 2022 unterstützt Christopher bei HR Pioneers die aktive Begleitung von Veränderungen. Der Führungs- und Managementebene und ihren Herausforderungen gilt dabei ein besonderer Fokus.

Marcus Minzlaff
Management Consultant

Marcus widmet sich der Aufgabe, mit Führungskräften und Teams in Transformationen ihren eigenen Entwicklungspfad zu gestalten, der einem immer komplexeren und volatileren Umfeld gerecht wird.


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