Fachkräftemangel und der Ruf nach eigenverantwortlichem Arbeiten

Teil 3 der Blogreihe "Führung in der Krise: Von Leadership Fatigue zu Führungs-Resilienz"

Fachkräftemangel und eigenverantwortliches Arbeiten
Lesedauer 5 Minuten

Führungskräfte sind zunehmend überlastet und suchen Orientierung, eine Art Führungsmüdigkeit macht sich breit. In ihrer Blogreihe setzen sich unsere Pioniere Christopher Lohmann und Marcus Minzlaff mit dem Phänomen auseinander, das sie Leadership Fatigue nennen und derzeit in vielen Kundengesprächen erleben: die geforderte, gestresste, oft erschöpfte Führungskraft. Hier erfährst Du mehr zu Herausforderungen und Gründen, die zu Leadership Fatigue führen, und zu möglichen Lösungsansätzen auf Basis des Pioneers LeaderSHIFT Modells. Heute widmen sie sich den Themen „Fachkräftemangel und der Ruf nach eigenverantwortlichem Arbeiten“. (Bildquelle: Hari Nandakumar/ unsplash.com)

Als im Frühjahr dieses Jahres der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland die Zahlen zur Entwicklung der Mitarbeitenden der Branche veröffentlicht, sorgt eine Zahl für Diskussionen: Die arbeitnehmerbedingte Fluktuation ist sprunghaft von 1,8% auf 2,5% der Versicherer angestiegen. Im Zusammenspiel mit der zunehmenden Verrentung der Babyboomer wird diese erhöhte Fluktuation für einen unserer Kunden aus der Branche zu einem echten Mangel: Weit mehr als 100 qualifizierte Stellen sind dort seit Jahren offen, was Stress für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeitende bedeutet. Um handlungsfähig zu bleiben, wagt das Unternehmen den Schritt ins Ausland und baut mit einem leistungsfähigen Dienstleister am Bosporus eine umfassende Servicebeziehung auf. Fast 100 Menschen arbeiten seither aus der Türkei für unseren Kunden. Das bringt Entlastung in gleich mehreren operativen Bereichen, fordert aber die Integrations- und Koordinationsfähigkeit unseres Kunden erheblich. Besonders im Fokus dabei einmal mehr: die Führungskräfte, mit all ihrer Management- und Führungskompetenz.

Arbeitnehmer:innen im Vorteil: Der Machtwechsel am Arbeitsmarkt

Der demographische Wandel unserer Gesellschaft schlägt in nahezu allen Unternehmen und Branchen brutal zu. Bäckereien, die Filialen nicht mehr öffnen können, Einzelhändler, die abends früher schließen müssen, Hunderttausende von Ausbildungsplätzen, die einfach nicht besetzt werden: Es fehlt überall an qualifizierten Menschen, die Boomer gehen in Rente, der Kampf um Talente greift an vielen Stellen um sich – und wird angesichts des drastischen Fach- und Arbeitskräftemangels immer stärker.

Der Arbeitsmarkt ist heute ein Arbeitnehmer:innenmarkt, denn Arbeitnehmer:innen sind knapp. Das hat Folgen. Mitarbeitende wechseln schneller den Job als früher, wenn sie unzufrieden mit ihrer:m Arbeitgeber:in sind. Denn sie wissen: Angesichts der Machtverteilung zu ihren Gunsten finden sie ohnehin schnell wieder eine attraktive Stelle. Hinzu kommt, dass jüngere Generationen in der Tendenz andere Lebensmodelle zu verfolgen und weniger Bindung zu entwickeln scheinen. Erst kürzlich wetterte der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière – ein Boomer – in der Wochenzeitung DIE ZEIT, die Anspruchshaltung vieler Vertreter:innen der Generation Z ginge ihm gegen den Strich. Gerade um diese GenZ aber tobt der War for Talents. Und das wissen und nutzen die jungen Menschen auch. Mitarbeiter:innen sind heute souveräner denn je. Zur absehbaren Demografie kommt daher eine schwer planbare kündigungsbedingte Fluktuation.

 

Für Führungskräfte bringt das viele, zum Teil neue Herausforderungen mit sich, die zur Belastung der Führungskräfte und dem beiträgt, was wir Leadership Fatigue nennen. Dabei gilt es ganz praktisch, die Folgen der Fluktuation zu bewältigen, neue Mitarbeitende zu suchen, einzulernen, zu integrieren. Externe Dienstleister:innen müssen gefunden, angebunden, ausgebildet und gesteuert werden; kommen diese aus anderen Kulturkreisen, ist auch hier echte Integrationsarbeit gefordert. Die Übergabe von Wissen will organisiert sein, wenn der:die Leistungsträger:in mit 40 Jahren Berufserfahrung an den Nachwuchs übergibt – ebenso das neue Verteilen der Aufgaben im Team. Fluktuation bedeutet immer auch Veränderung und Unruhe im Team, die aktiv gemanagt werden müssen.

Tradierte Führungsmodelle versus eigenverantwortliches Arbeiten

Fluktuation schreit aber nicht nur nach Management, sie braucht auch Führung. Da ein gutes Arbeitsklima im Team und eine vertrauensvolle Beziehung zur Führungskraft für die Frage „bleib ich oder geh ich“ oft entscheidend ist, lastet besonderer Druck auf den Führungskräften. Sie sind in ihren Führungsqualitäten gefordert, um gute Mitarbeitende zu halten, Lücken nachhaltig zu schließen und den Zusammenhalt im Team zu sichern. Dabei sollten Führungskräfte beachten, dass sich die Anforderungen der Mitarbeitenden an ihre eigene Tätigkeit, an die Zusammenarbeit im Team, das Arbeitsklima oder die Beziehung zur Führungskraft verändern.

Nicht nur in agilen Zusammenarbeitsformen wollen viele Menschen stärker selbstverantwortlich arbeiten. Sie brauchen eine andere Art von Führung. Das ist dann besonders anspruchsvoll, wenn im Team der Anspruch auf mehr Selbstorganisation und die Bitte um klare Führung aufeinanderprallen. Eine Kundin erzählte uns in diesem Zusammenhang, dass in ihrem Unternehmen die kulturellen Konflikte zwischen Boomern und GenZlern zunehmen. Thomas de Maizière und die Folgedebatte lassen grüßen. Mehr Selbstorganisation und mehr Individualität in der Führung gehen oft deutlich über das hinaus, was viele Führungskräfte über Jahrzehnte gelernt haben und bis heute leben. Auch das ist anspruchsvoll. Denn der Weg zum Servant Leader bedeutet, sich nicht nur methodisch, sondern vor allem über die Haltung persönlich weiterzuentwickeln.

Verstehe einer die Mitarbeitenden

Hinzu kommt, dass Anforderungen und Ansprüche der Mitarbeitenden durchaus schwanken, die Ausgangslage also keineswegs immer eindeutig ist. Einerseits rufen viele Mitarbeitende nach mehr Eigenverantwortung in der Arbeit. Doch andererseits stimmt eben auch: Nimmt die Unsicherheit zu oder müssen Konflikte eingegangen und gelöst werden, dann ist der Wunsch nach der Führungskraft, die all das Unangenehme regelt, schnell wieder da. Sehr menschlich. Das führt dazu, dass Führungskräfte ihrerseits immer wieder schildern: “Ich würde ja durchaus loslassen und Freiraum geben. Aber die Mitarbeitenden tragen das nicht in der Konsequenz und Entschlossenheit, die wir brauchen. Führung macht auch bequem.” Es scheint, dass Mitarbeitende oft nicht gut auf Partizipation oder Selbstorganisation vorbereitet sind. Führungskräfte pendeln so oft zwischen dem Prinzip Hoffnung und mehr oder weniger dezentem Druck – dem klassische Führungsansatz. Beides ist Symptombekämpfung, beides auf mittlere Sicht nicht zielführend, beides trägt zur Leadership Fatigue bei.

Die Diskussion zeigt: Wie Führung auf Distanz ist die erfolgreiche Bewältigung von demographischem Wandel und Fluktuation viel mehr als ein praktisches Managementproblem. Es verlangt nach moderner Führung, nach veränderungsoffenen Führungskräften, einem erweiterten Führungsbegriff. Die Frage, warum sich Mitarbeitende so verhalten – und vor allem: warum es absolut sinnvoll ist, dass sie es so tun – rückt dabei in den Blickpunkt. Und so rückt auch eine Anforderung an deren Führungskräfte in den Fokus, die wir zugleich als Chance begreifen: die Arbeit an den Verhältnissen, die das Verhalten prägen. Die Mit-Arbeit an den Rahmenbedingungen der Organisation, also Organisationsentwicklung. Doch bevor wir zu diesen Lösungsansätzen auf Basis des Pioneers LeaderSHIFT Modells kommen, wenden wir uns im nächsten Blogbeitrag in einem letzten Problemaufriss dem Wandel im Führungsverständnis zu.

Dieser Beitrag ist Teil 3 der Blogreihe „Führung in der Krise: Von Leadership Fatigue zu Führungs-Resilienz“. Hier geht es zu Teil 1 „Die erschöpfte Führungskraft“ und Teil 2 „Führen auf Distanz“ und Teil 4 „Führungsverständnis und die Sinnfrage„.

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AutorInnen dieses Beitrags
Dr. Christopher Lohmann
Executive Advisor & Beirat

Seit 2022 unterstützt Christopher bei HR Pioneers die aktive Begleitung von Veränderungen. Der Führungs- und Managementebene und ihren Herausforderungen gilt dabei ein besonderer Fokus.

Marcus Minzlaff
Management Consultant

Marcus widmet sich der Aufgabe, mit Führungskräften und Teams in Transformationen ihren eigenen Entwicklungspfad zu gestalten, der einem immer komplexeren und volatileren Umfeld gerecht wird.


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