Führung in der Krise: Von Leadership Fatigue zu Führungsresilienz

Blogreihe Teil 1: "Die erschöpfte Führungskraft"

Führung in der Krise
Lesedauer 5 Minuten

Führungskräfte sind zunehmend überlastet und suchen Orientierung, eine Art Führungsmüdigkeit macht sich breit. In ihrer Blogreihe setzen sich unsere Pioniere Dr. Christopher Lohmann und Marcus Minzlaff mit dem Phänomen auseinander, das sie Leadership Fatigue nennen und derzeit in vielen Kundengesprächen erleben: die geforderte, gestresste, oft erschöpfte Führungskraft. Hier erfährst Du mehr zu Herausforderungen und Gründen, die zu Leadership Fatigue führen, und zu möglichen Lösungsansätzen auf Basis des Pioneers LeaderSHIFT Modells. In ihrem ersten Beitrag beleuchten sie, warum Führung aktuell in einer Krise zu stecken scheint (Bildquelle: Heinrich Fuchs/Shotshop.com).

Führungsalltag: Ausgebrannt und überfordert

Nordrhein-Westfalen, im Juni 2023, Besuch bei einem global erfolgreichen Automobilzulieferer. Ein Mittelständler, wie er im Buche steht, der den Schwenk in Richtung E-Mobilität ebenso mit Erfolg bewältigt hat wie die Transition vom inhaber- zum managergeführten Unternehmen. Wir sind beeindruckt. Und doch hat uns das Management gerufen, weil es nicht gelingen will, Mitarbeitende und Teams mitzunehmen: bei der großen Transformation des Unternehmens nicht und auch nicht in einem eigentlich überschaubaren Technologieprojekt. Als wir mögliche Ansatzpunkte abklopfen, kommen wir auf die Rolle von Führung in der Veränderung zu sprechen. Unruhe macht sich breit, das Managementteam rollt kollektiv mit den Augen. „Die Führungskräfte? Könnt Ihr völlig vergessen.“ Ausgebrannt und schon im Alltag völlig überfordert seien sie. „Da haben wir keine Erwartungen.“

Unsicherheit ist das neue Normal

Egal ob in Politik oder Wirtschaft, in der Gesellschaft oder im Privaten: Wir leben in einer Zeit multipler Krisen, deren Ende nicht absehbar ist. Beim Klima wie bei der demographischen Entwicklung der Bevölkerung erleben wir jetzt den Wandel, der über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, angekündigt und erwartet wurde. Mit dem Überfall Russlands in der Ukraine ist das lange Jahre Denkunmögliche zurück in Europa: der Krieg. Lieferketten sind zerrissen, die Preise steigen ebenso drastisch wie Immobilienwerte fallen, es fehlt überall an Personal. Corona scheint als globale Pandemie zwar gut überstanden. Dennoch will sich das alte “Normal” nicht wieder einstellen. Im Gegenteil: Das Virus wirkt fort als Katalysator einer gigantischen digitalen Transformation, die durch immer wirkmächtigere Werkzeuge wie ChatGPT dramatisch beschleunigt wird und tiefgreifende Veränderungen tradierter Arbeitsprozesse und Zusammenarbeitsmodelle zur Folge hat. Unsicherheit und ständiger Wandel sind das neue Normal.

Führungskräfte erleben Druck von allen Seiten

Vor diesem Hintergrund ist jede:r Einzelne heute gefordert, Strategien und die Fähigkeiten für sich zu entwickeln, um gut und gesund durch das fordernde neue Normal zu kommen. Führungskräften wird dabei besonders viel abverlangt. In der Position zwischen zunehmend souveränen Mitarbeiter:innen und fordernden Vorgesetzten erleben sie Druck von allen Seiten.

Sie sollen

  • Orientierung geben,
  • ihre Teams zusammenhalten,
  • Verstärkung finden,
  • unter Unsicherheit richtig entscheiden und priorisieren,
  • die Performance sicherstellen und
  • zugleich besagten Wandel in ihren Unternehmen vorantreiben

– und haben doch jede Menge mit sich selbst zu tun, im Job wie privat.

Welchen Stress das bedeutet, hat von Ameln (2021) eingehend wissenschaftlich beleuchtet. Auch in unseren Projekten erleben wir Führungskräfte, die post-Corona mehr gefordert sind denn je. Sie sind gestresst und oft überlastet. Viele wirken erschöpft, teilweise nahe am Burn-out. Selbst gut gemeinte und oft auch gut gemachte Hilfsangebote an Führungskräfte bleiben unbeachtet, weil schlicht die Zeit und der Kopf dazu fehlen, in die gerade jetzt dringend nötige persönliche Entwicklung zu investieren. Getreu dem Motto: Keine Zeit zum Segel setzen, wir müssen rudern.

Führung post-Corona: Gefangen zwischen operativem Alltag und neuem Normal

Schon während Corona waren Führungskräfte extrem gefordert, in ihren Unternehmen die Transformation zum flächendeckenden hybriden Arbeiten zum Erfolg zu führen. Das Ziel: Leistung, Gefüge und soziales Kapital ihrer Teams zu sichern. Die Hoffnung, nach Corona würde sich alles entspannen, wurde enttäuscht. Denn die Megatrends Digitalisierung, demographischer Wandel, Migration und Klimawandel kommen mit voller Wucht im Arbeitsalltag vieler Unternehmen an. Diese sind gefordert, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und zugleich als Organisation Resilienz und Anpassungsfähigkeit zu entwickeln, um im neuen Normal bestehen zu können.

Für die erfolgreiche Bewältigung dieser Transformation sind Führung und der Beitrag der Führungskräfte ein ganz wesentlicher Erfolgsfaktor. Doch gefangen im operativen Alltag und stark gefordert in der Führung im neuen Normal können viele Führungskräfte diesen Beitrag schlicht nicht leisten. In der Folge trauen viele Geschäftsführer:innen und Vorstände „ihren“ Führungskräften aktuell nicht zu, eine tragende Rolle in den anstehenden Transformationsprozessen zu spielen. Regelmäßig erleben wir in Kundengesprächen die oben skizzierte und oft regelrecht verzweifelte Reaktion, wenn wir nach dem Beitrag von Führung in der Transformation stellen. In vielerlei Hinsicht stellt sich also die Frage: Führung in der Krise?

Lesetipp: Kostenfreies E-Paper zu “Führen in unsicheren Zeiten“

Von Leadership Fatigue zu Führungs-Resilienz

Zur Überwindung der Leadership Fatigue wird es kaum helfen, Führungskräfte einfach nur von Teilen ihrer operativen Aufgaben zu befreien. Denn dass Führungskräfte überlastet und erschöpft sind liegt nicht allein daran, dass sie sehr viel zu tun haben. Die Gründe sind vielschichtiger. Was also kann helfen? In unserer Beratungspraxis erleben wir zunehmend Unternehmenslenker, die erkannt haben: Resilienz und Anpassungsfähigkeit ihrer Organisation führt über Führungskräfte, die resilient und anpassungsfähig sind. Sie geben Raum für Führung, Austausch und Lernen. Und sie laden dazu ein, an der Entwicklung moderner Führungsansätze aktiv mitzuwirken.

Chance für persönliches Wachstum: Krisen können Resilienz fördern

Aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse machen Mut. Yu et al. (2022) etwa zeigen anhand von 46 empirischen Studien, dass Krisen die Entwicklung von Resilienz fördern, – wenn sie als Chance begriffen werden dürfen, um persönlich zu wachsen. Kauffeld et al. (2016) haben dazu mit FITOR ein Modell entwickelt, mit dem Resilienz unterschiedlicher Unternehmenseinheiten parallel messbar ist, um so datengestützt passende Maßnahmen zu deren Förderung zu entwickeln. Shelton et al. (2022) arbeiten aus 49 empirischen Studien heraus, dass gelernte Fähigkeiten wie Zeitmanagement, Kooperationswille oder Aufgeschlossenheit für die Resilienz von Führung und einen unterstützenden Führungsstil wichtiger sind als persönliche Eigenschaften oder Umweltbedingungen.

„These results are a call to action. Organizations need to develop leader resiliency training programs, which could be expected to result in an increased number of leaders with high levels of satisfaction and well-being, who, in turn, demonstrate more constructive leadership practices. An investment in developing resilient leaders is not only the right thing to do; it is a financially wise investment.”

(Shelton et al., 2023, S. 425)

Wann immer also Vorstände die Augen rollen über ihre Führungskräfte, ist also unsere Frage: Was tut ihr, um Führung resilient zu machen? Wieviel Raum haben Führungskräfte, um zu wachsen? Und dürfen sie dabei mitgestalten?

Im zweiten Teil unserer Blogreihe zu „Führung in der Krise: Von Leadership Fatigue zu Führungsresilienz“ diskutieren wir das Thema „Führen auf Distanz„. Teil 3 beleuchtet das Thema „Fachkräftemangel und der Ruf nach eigenverantwortlichem Arbeiten„.

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AutorInnen dieses Beitrags
Marcus Minzlaff
Management Consultant

Marcus widmet sich der Aufgabe, mit Führungskräften und Teams in Transformationen ihren eigenen Entwicklungspfad zu gestalten, der einem immer komplexeren und volatileren Umfeld gerecht wird.

Dr. Christopher Lohmann
Executive Advisor & Beirat

Seit 2022 unterstützt Christopher bei HR Pioneers die aktive Begleitung von Veränderungen. Der Führungs- und Managementebene und ihren Herausforderungen gilt dabei ein besonderer Fokus.


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