Strategieberatung versus Prozessbegleitung

Welche Beratung eignet sich für eine agile Transformation?

Strategieberatung versus Prozessbegleitung: Welche Beratung eignet sich für eine agile Transformation? Welcher Weg führt zum Ziel?
Lesedauer 6 Minuten

Du möchtest mit Deinem Unternehmen agiler werden und startest Eure Transformation damit, ein Playbook oder andere schriftliche Unterlagen zu erarbeiten? Du möchtest damit Orientierung geben, wie Agilität bei Euch umzusetzen ist? Das ist ein ehrenwertes Anliegen, nur hilft es nicht, agil zu werden. Unsere Pionierin Jennifer Rolle sagt: „Statt Folien braucht es Prozessbegleitung. Sie unterstützt Dich dabei, die agilen Werte und Prinzipien individuell passend zum Kontext in die Umsetzung zu bringen!“ (Bildquelle: Vladislav Babienko/Unsplash)

Beim ersten Kontakt mit einem:r Kund:in versuchen wir zu prüfen, wo die Organisation steht und wo sie gerne hin möchte. Und häufig war vor uns schon eine der großen Strategieberatungen im Haus. Diese hat eine Analyse gemacht und ein sogenanntes Target Operating Model (TOM) für die Organisation ausgearbeitet. Im Gespräch äußere ich dann gerne meine Begeisterung über die vielen schon vorliegenden Ideen für die agile Transformation. Doch bislang habe ich daraufhin immer nur ziemlich betretene Blicke geerntet. Wie kommt das? Ich möchte hier einmal das Modell der Verständigungsleiter anwenden:

Gesagt ist nicht gehört

In der Regel besteht der Output der Strategieberatungen in Folien, Slides, Decks, sprich Powerpoint-Präsentationen. Das bedeutet: Sie schreiben auf Folien nieder, wie sich das Unternehmen aufstellen und organisieren soll, um erfolgreich zu sein. In diesem Prozess entstehen hunderte und aberhunderte von Folien, teilweise in Schriftgröße 5 und 6, angereichert mit komplizierten Grafiken. Die Idee besteht darin, diese Informationen im Unternehmen zu verteilen, so dass die Verantwortlichen sie umsetzen – wie bei einem Kochrezept. Aber wer liest schon so viel Text? Und vor allem: wann im normalen Arbeitsalltag? Im Zweifel öffnet man die Präsentation kurz, begreift nach den ersten zehn Folien, dass es noch unendlich so weiter geht – und schließt sie dann wieder. Manche schieben die E-Mail direkt ins Archiv. Die Pflichtbewussteren lassen sie vielleicht noch länger im Posteingang für „eine ruhige Minute“, die aber nie eintritt.

Gehört ist nicht verstanden

Die nächste Hürde besteht darin, dass die Ausführungen sehr kompliziert sind. Für eine halbwegs effiziente Beschreibung muss totales Fachvokabular herhalten. Wer weiß schon, wer oder was TOM ist. Und selbst, wenn ich weiß, dass es die Abkürzung für Target Operating Model ist, weiß ich vielleicht immer noch nicht, was das sein soll. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Aufbauorganisation und Ablauforganisation? Was ist mit Capability Management gemeint oder mit Demand Management? Und was ist ein Refinement oder Planning? Und wozu braucht man das auf einmal? Selbst bei vermeintlich einfachen Begriffen stellt sich immer wieder heraus, dass wir völlig unterschiedliche Dinge darunter verstehen. Stell mal in unterschiedlichen Unternehmensbereichen die Frage, was unter einem Produkt oder unter einem Service verstanden wird … Und wenn das Ganze auch noch auf Englisch ist … Also selbst, wenn Du Dir alle Folien sorgsam durchliest, hast Du hinterher wahrscheinlich mehr Fragezeichen als vorher.

 

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Folien, Slides, Decks, Powerpoint-Präsentationen, … am Ende bleiben viele Fragezeichen / Bildquelle: Daniel Jensen/Unsplash

 

Verstanden ist nicht einverstanden

Stell Dir vor, dass Dir die Unterlagen erklärt wurden und die Schnittmenge zwischen Deinem Verständnis und dem Gemeinten gewachsen ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass Du das Neue gutheißt. Vielleicht willst Du Dich trotzdem nicht von Deinen jetzigen Teamkolleg:innen verabschieden und Dich mit neuen Kolleg:innen zusammenfinden. Vielleicht möchtest Du dennoch nicht einen Teil Deiner Aufgaben abgeben oder Deine Rolle verändern. Du bleibst im inneren Widerstand.

Einverstanden ist nicht umgesetzt

Stellen wir uns vor, man hätte Dich vom Nutzen der neuen Organisation überzeugt. Und stellen wir uns vor, auch Deine persönlichen Ziele und Bedürfnisse wären verstanden, angenommen und eingebaut. Das heißt immer noch nicht, dass Du die Dinge in die Tat umsetzt. So benennt Ihr Euch jetzt im Team vielleicht nach den neuen Rollen, und Ihr habt Eure Signatur angepasst. Das sieht auf dem Papier gut aus, aber am Ende arbeiten alle weiter wie bisher. „Aus Raider wird jetzt Twix, sonst ändert sich nichts!“ Die alten Muster sind zu gut geübt. Sie müssten erst einmal verlernt und die neuen erlernt werden. So etwas passiert aber kaum von selbst.

Umgesetzt ist nicht beibehalten

Und selbst wenn Du die Dinge umgesetzt hast, kann es immer noch passieren, dass sie schnell wieder einschlafen. Oder Du kehrst in Stresssituationen zu alten Mustern zurück. So erlebe ich es im agilen Kontext immer wieder, dass sich Teams ein Task Board einrichten, um mehr Transparenz zu schaffen. Dieses schläft aber relativ schnell wieder ein. Es wird nicht gepflegt, niemand schaut drauf, und schließlich vergessen es alle. Oder es passiert, dass eine Führungskraft unter Druck doch wieder alles an sich zieht und bestimmt, wie die Dinge zu laufen haben.


Komplexes lässt sich nicht standardisiert definieren

Aber es wird noch ärger. Nicht nur, dass die Unterlage wahrscheinlich schon auf der ersten Sprosse der Verständigungsleiter hängen bleibt. Die besseren Beratungen merken, dass die Regeln, die sie festschreiben wollen, in vielen Einzelfällen keinen Sinn ergeben. Um das zu lösen, machen sie jedoch mehr vom Gleichen: noch mehr Analyse und Detailplanung. Dafür beziehen sie Stakeholder:innen aus dem Unternehmen in den Prozess ein und „verbrennen“ noch mehr Zeit und Geld.

In endlosen Reviewschleifen mit endlos vielen Teilnehmer:innen wenden sie die Folien von links nach rechts und holen Feedback zu Definitionen und Grafiken ein. Das Ergebnis: Die definierten Vorgaben passen dennoch nur auf einen Bruchteil des im Unternehmen bearbeiteten Geschäfts. Am Ende kann der Komplexität des Unternehmens trotz all der Mühen nicht Rechnung getragen werden. Die Unternehmensrealität ist eben eher komplex und nicht kompliziert, analysierbar, verstehbar und damit planbar.

Aufschreiben bietet Sicherheit, macht aber nur die Berater:innen schlau

Daher bin ich immer wieder erstaunt, warum Unternehmen teilweise Millionen in diese recht sinnlos erscheinende Übung investieren. Na ja, ganz unverständlich ist das natürlich doch nicht. Die meisten Unternehmen kommen aus einem ehemals sehr stabilen Markt. Sie sind es gewohnt, dass man die Dinge analysieren und perfekt planen kann. Denn erfahrungsgemäß bewegen sich die Dinge nicht. Dazu sind viele Unternehmen in der Denkgewohnheit unterwegs, dass oben gedacht und unten ausgeführt wird. Wo käme man hin, wenn alle machen, was sie wollen?

Vielleicht glaubt man damit aber auch, das Wissen schwarz auf weiß ins Unternehmen zu holen. Bei dem ganzen Vorgehen werden aber nur die Berater:innen immer schlauer. Dies überträgt sich leider nicht auf das Unternehmen. Die Unterlage bleibt nur eine Unterlage und wird nicht Teil des Wissens und Könnens in der Organisation.

Von oben nach unten denken. Hier wird der Blick aus der Vogelperspektive auf eine Landschaft sinnbildlich dargestellt.

Viele Unternehmen denken von oben nach unten / Bildquelle: Marcin Jozwiak/Unsplash

 

Weniger Strategieberatung, mehr Prozessbegleitung

Stell Dir vor, wir würden diese Millionen direkt in Prozessbegleiter:innen investieren. Dann würden wir durch die Sprossen der Verständigungsleiter automatisch hindurchstürmen. Denn Prozessbegleiter:innen entwickeln die Dinge direkt mit den Betroffen zusammen in einer Mischung aus Qualifizierung und Moderation. Auf diese Weise entstehen Zusammenarbeitsweisen, die die Betroffenen verstehen und bejahen. Bei der Umsetzung begleiten die Prozessberater:innen. Sie helfen zu adjustieren, aber vor allem auch, dies beizubehalten.

Jetzt kannst Du Dir die Frage stellen: Woher wissen die Prozessbegleiter:innen, in welche Richtung sie arbeiten sollen, wenn es kein Playbook, TOM oder 500-seitiges Slide Deck gibt? Natürlich braucht es trotzdem ein Alignment. Dieses wird einerseits aus der Marktvision Eures Unternehmens geschaffen: Für wen arbeiten wir? Wie stellen wir uns die Zukunft für diese Zielgruppe vor? Was tun wir, um der Zielgruppe zu dieser wünschenswerten Zukunft zu verhelfen? Und in der Kulturvision andererseits entwickelt Ihr die universell anwendbaren Werte und Prinzipien, nach denen Ihr zusammenarbeiten wollt.

Sicherheit durch regelmäßige Reflexion

Generisch ist weiterhin der Ablauf, der Prozess, in dem Du mit den Begleiter:innen zusammenarbeitest und die Organisation partizipativ entwickelst. Dennoch braucht es natürlich regelmäßige Reflexionsrunden der Begleiter:innen zusammen mit den Auftraggeber:innen. Hier schafft Ihr gemeinsam Transparenz über die Umsetzung und richtet Euch immer wieder gemeinsam aus. Insofern arbeiten auch die Prozessbegleiter:innen in einer Art iterativ-inkrementellen Prozess zusammen.

Fazit: Wenn Du Zeit, Geld und Frustration sparen willst, wähle lieber den agilen „learning-by-doing“-Ansatz als den analytisch-regelorientierten Ansatz!

 

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