Transformation ist das neue Buzzword und jedes Unternehmen behauptet, gerade in einer Transformation zu stecken. Aber ist das wirklich so? Unsere Pionierin Jennifer Rolle widmet sich dem Thema und fragt: Was ist eigentlich eine Transformation in Abgrenzung zu Change und was macht sie so schwierig? (Bildquelle: Suzanne D. Williams; Unsplash.com)
Als ich anfing, mich mit Agilität zu beschäftigen, hieß es, dass es hier nicht um einen einfachen Change ginge, sondern um Transformation. „Uiuiuiui“, dachte ich mir, „diese Agilisten wollen doch immer etwas Besseres sein! Jetzt heißt es nicht mehr Change, sondern Transformation…“ Ich fühlte mich mit meinen bisherigen Erfahrungen in Sachen Change, gelinde gesagt, etwas marginalisiert. Denn es war ja nicht so, dass die Change-Projekte, mit denen ich mich in der Vergangenheit herumgeschlagen habe, einfach gewesen wären. Jede:r, der:die schon mal eine Unternehmensakquisition, Werteoffensive, Gefährdungsbeurteilung „Psychische Belastungen“ oder die Einführung von Total Quality Management begleitet hat, weiß, wovon ich spreche.
Transformation ist deutlich weitreichender als Change
Je mehr ich mich jedoch mit Agilität beschäftigt habe, desto mehr habe ich verstanden, was eigentlich gemeint war. Denn das, was ich früher gemacht habe, verhält sich zu Transformation, bildlich gesprochen, wie die kontinuierliche Optimierung des Lebens im Wasser zum Wechsel an Land. Will sagen: Früher habe ich geholfen, das bestehende System immer weiter zu optimieren. So, wie sich das Leben im Wasser über die Jahrmillionen immer weiter optimiert hat. Heute erleben viele Unternehmen das Austrocknen ihres Ozeans. Ihre Welt verändert sich gerade rasant und radikal. Sie müssen auf einmal ohne lange Vorbereitungszeit „an Land“ klarkommen – in einem völlig anderen System, das nach völlig anderen Regeln funktioniert. Nun haben wir uns im Wasser immer weiter optimiert, haben unsere Körperformen gestreamlined und unsere Flossen optimiert. Der Jäger kann immer besser riechen, wird immer schneller und wendiger und lässt sich Zahnreihen nachwachsen. Die Gejagten optimieren ihre Farbgebung, organisieren sich in Schwärmen und nutzen geschickt das Umfeld, um sich zu verstecken. Wenn der Ozean nun jedoch austrocknet, helfen ihnen diese optimierten Charakteristika nicht mehr. Superschnelle Flossen erbringen an Land überhaupt keinen Nutzen mehr. Auf einmal benötigen sie eine ganz neue Form von Fortbewegung. Optimierte Kiemen sind hinfällig. Auf einmal müssen sie Sauerstoff aus der Luft ziehen können.
Definition von Transformation
Und das ist mit Transformation gemeint: ein grundlegender Systemmusterwechsel. Diskontinuität. Disruption. Oder auch Wandel zweiter Ordnung. Für eine Organisation bedeutet dies, das System so radikal umzubauen, dass sich Grundannahmen, Wertvorstellungen und Muster der Zusammenarbeit und Kommunikation verändern. Dies hat Auswirkungen auf viele Dimensionen der Organisation: Prozesse, Struktur, Strategie, Führung, HR-Instrumente und Kultur. Und die Transformation ist erst dann erfolgt, wenn ein nachhaltig neues Verhalten der Organisationsmitglieder beobachtet werden kann.
Agile Transformation zu verkaufen macht Spaß, die Umsetzung häufig nicht so sehr
Nun ist es so: Es ist sehr einfach, für Agilität zu begeistern – in Vorträgen und Seminaren die Vorteile überzeugend herauszuarbeiten und für eine agile Transformation zu werben. Und das sind schöne Veranstaltungen, die einen selbst motivieren und Freude und Wertschätzung schenken. Und keine Frage: Diese Art von Veranstaltungen sind wichtig, gleichwohl sind sie nicht die Transformation.
Die tatsächliche Transformation ist häufig weniger angenehm. Hier geht es darum, Kernüberzeugungen im Unternehmen zu verändern. Die Beteiligten müssen sich von Glaubenssätzen und Denkmustern verabschieden, die ihnen die letzten Jahrzehnte gut durch‘s Leben geholfen haben. So etwas geht manchmal mit starken negativen Emotionen einher. Agile Transformation? Kläre erst Dein Warum und Wofür!
Unsicherheit durch fehlende Blaupause
Hinzu kommt, dass man sinnbildlich ja noch gar nicht so genau weiß, wie das Leben an Land funktioniert. Das bedeutet, dass man sich immer wieder in seinem Vorgehen irrt, falsche Entscheidungen trifft und gegen die Wand fährt. Du lässt Dir eine größere Rückenflosse wachsen und merkst dann in der Praxis, dass Dich das an Land gar nicht weiterbringt. Aber das bringt Dich vielleicht auf die Idee, die Brust- und Bauchflossen zu verstärken, was tatsächlich hilft, sich an Land fortzubewegen.
Du musst Dich langsam vorantasten, ausprobieren, voran irren. Selbst wenn Du als agile:r Vorreiter:in schon gelernt hast, dass es keinen fertigen Plan gibt, der nur noch ausgerollt werden muss. Auch wenn Du schon gelernt hast, Irrtümer als tolle Lernchancen zu begreifen, hat dies Dein Umfeld häufig noch nicht gelernt. So „bestraft“ das Umfeld Orientierungslosigkeit, Irrtümer und unperfekte Lösungen durch Druck, soziale Sanktionen und erneut negative Emotionen.
Beim Tun macht man sich unweigerlich die Hände schmutzig
Und selbst wenn Du Dich nicht komplett geirrt hast, so ist jegliches Vorgehen doch immer ein Kompromiss. Es gibt nicht die absolut perfekte agile Lösung. Agilität ist ein Ideal. Das heißt, Du musst Dich irgendwann für eine mögliche Lösung entscheiden. Das fühlt sich dann so an, als ob Du Dir die Hände schmutzig machst. Denn irgendwo verstößt man doch wieder gegen irgendwelche agilen Prinzipien und Werte.
Das alles muss man als Transformationsbegleiter:in erstmal aushalten. Aber nur wenn Du das in Kauf nimmst und ins Tun kommst, kannst Du wirklich etwas verändern. Insofern möchte ich Dich als Agile Transformation Manager, Agile Coach, Agile Champion und sonstige:n Agilist:in ermutigen, raus aus dem Klassenraum zu treten. Tritt vor dem Vortragspult hervor. Leg die Schreibfeder hin. Schließ Powerpoint. Raff Deinen Mut zusammen, schaff Dir ein dickes Fell an und bring Deine Expertise in die operative Begleitung von agilen Transformationen ein. Nur durch’s Tun wirst Du Dich und Deine Organisation dem agilen Ideal näher bringen!
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