Warum disziplinarische Führung ein Hindernis in agilen Teams ist

Neue Führung setzt auf Arbeit am System

Disziplinarische Führung als Hindernis in agilen Teams
Lesedauer 5 Minuten

Warum übernehmen die Teams keine Verantwortung? Warum wird kein Feedback gegeben? Wieso entsteht keine Leistungskultur? Ursachen dafür gibt es mit Sicherheit viele. Jennifer Rolle widmet sich der Frage: Welchen Beitrag leistet die Art, wie wir Führung denken und organisieren, zur agilen Selbstorganisation? (Bildquelle: Milivoj Kuhar; Unsplash) 

Häufig kommen wir als Berater:innen das erste Mal in Unternehmen, wenn diese ihre agile Transformation schon gestartet haben. Sie sind dann an einem Punkt angekommen, an dem sie nicht mehr wissen, wie sie weitermachen sollen. Irgendwie stecken sie fest. Sehr häufig werden wir mit der Aussage konfrontiert, dass die Mitarbeiter:innen keine Verantwortung übernehmen wollten. Oder man habe eine Kuschelkultur und wünsche sich mehr Leistungskultur, wo immer da auch der Widerspruch ist. Manche beklagen die fehlende Feedbackkultur, oder dass die Mitarbeiter:innen nicht das tun, was man sich von ihnen wünsche – etwa in Wissensteilung gehen oder sich eigenständig in Communities organisieren.

Organisation von Führung als eine Ursache von Stillstand in der agilen Transformation

Das kann viele Ursachen haben. Hier möchte ich gerne das heikle Thema der Organisation von Führung ansprechen. Dazu muss ich zunächst kurz ausholen und beleuchten, warum Unternehmen ursprünglich in die agile Transformation starten: Viele Branchen und Unternehmen geraten in immer turbulenteres Fahrwasser. Du hast bestimmt schon von dem Akronym VUCA gehört. VUCA bedeutet im Wesentlichen:

  • Volatility: Ziele, Märkte und Umstände ändern sich permanent
  • Uncertain: dabei ist unvorhersehbar, wie sich die Dinge verändern
  • Complex: alles interagiert miteinander, ist vernetzt – Komplexität ist die Ursache für die anderen drei Variablen
  • Ambiguity: die Zusammenhänge sind uneindeutig, mehrdeutig, es gibt viele Sichtweisen, die richtig sind und sich trotzdem widersprechen können
Turbulente Zeiten für Firmen in der VUCA Welt

(Bildquelle: Matthew Henry; Unsplash)

 

Komplexe Probleme benötigen ein komplexes Lösungssystem

Für ein komplexes Problem benötigen wir ein mindestens ebenso komplexes Lösungssystem. Sonst kann es – laut Ashbys Gesetz – das Problem nicht steuern. Darum wird im agilen Kontext immer so auf Teamwork, Diversität und Crossfunktionalität herumgeritten. Denn diese Faktoren tragen maßgeblich zur Komplexität des sogenannten Lösungssystems, sprich dem Team, bei. Damit die Komplexität im Team entsteht, ist es wichtig, dass sich alle Menschen mit allem, was sie zu bieten haben, einbringen. Das bedeutet, alle ihre (heiklen) Fragen und (unausgegorenen) Ideen einzubringen. Das bedeutet, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, mit der signifikanten Wahrscheinlichkeit, sich zu irren. Es bedeutet, permanent im Ausprobieren und Lernen zu sein, mit der Gefahr, sich gefühlt dumm anzustellen und Fehler zu machen. Und es bedeutet, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Probleme zu sehen und Verantwortung für deren Lösung zu übernehmen. Also all die Dinge, von denen Unternehmen merken, dass sie hier nicht weiterkommen, nachdem sie nun crossfunktionale Teams aufgestellt haben.


Die allmächtige Führungskraft ist in diesem Kontext ein Hindernis

Wie gesagt gibt es viele Gründe, warum die Teams nicht in der beschriebenen Art in die Zusammenarbeit kommen. Einer dieser Faktoren ist auf jeden Fall häufig die Art, wie Führung nach wie vor gedacht wird. Werden diese Teams auch weiterhin von einer disziplinarischen Führungskraft gesteuert, die nach wie vor die Verantwortung für alles auf sich vereint, dann ist sie, systemisch gesehen, in diesem Kontext ein Hindernis:

  • Sie vereinigt zu viel Macht auf sich
    Ein:e Mitarbeiter:in ist sehr abhängig von ihr, sei es in Bezug auf Karriere, Gehalt, Informationen, Wertschätzung, Zutrauen, Aufgabenübertragung oder etwa Zugehörigkeit. Vor so einer Person denkt man im Zweifel zweimal nach, bevor man irgendetwas äußert. Man fragt sich vor einer Äußerung, ob es dem Bild, das die Führungskraft von einem hat, schaden könnte. Man sorgt sich, ob man jemand anderen bloßstellen könnte. Man überlegt sich genau, ob man Probleme anspricht oder damit der Führungskraft eventuell auf die Füße tritt …
  • Führungskräfte sind per Definition die „Senior:innen“: Sobald wir eine explizite Unterscheidung in „ober“ und „unter“ oder „älter“ und „jünger“ oder „erfahrener“ und „weniger erfahren“ in einem Team haben, neigen Menschen dazu, konstant in diesen Rollen zu agieren. Diese Unterscheidungen drücken sich in Positionen und Titeln aus: Teamleiter:in – Mitarbeiter:in, Junior Developer:in – Senior Developer:in… Die „Oberen“ meinen, sie müssten alles wissen, können und entscheiden und tun dies in der Folge auch. Die „Unteren“ lehnen sich zurück und glauben ebenfalls, dass alles von „oben“ kommen muss. Auf diese Weise agiert das Team immer nur so schlau, wie die da oben und greift nicht auf die ganze Intelligenz im Team zurück.
Disziplinarische Führung als Bremsklotz für die Teamentwicklung

(Bildquelle: m_n_r; Pixabay)

Das hat nichts mit den Menschen zu tun, die die Rolle ausüben

Selbst wenn der Mensch, der die Rolle der Führungskraft ausübt, noch so sehr versucht, auf Augenhöhe mit seinen Mitarbeiter:innen zu kommen: Er wird kompromittiert durch seine Rolle. Einen Vorbehalt wird es immer geben. Meiner Erfahrung nach neigen Führungskräfte dazu, die Auswirkungen ihres Titels und ihrer Rolle stark zu unterschätzen. Frag Dich mal selbst, wie unbefangen und frei Du gegenüber Deiner disziplinarischen Führungskraft agierst, obwohl Du vielleicht ein super Verhältnis zu ihr hast. Wenn Du keine Einschränkungen spürst – herzlichen Glückwunsch! Du hast ein sehr gut ausgeprägtes Urvertrauen und bist einer von wenigen Menschen, der seinen Selbstwert aus sich selbst heraus empfindet. Wir anderen können unseren Selbstwert nur empfinden über den Wert, den andere uns beimessen und dies insbesondere im Vergleich zu anderen. Und je mehr Wert ein:e andere:r im System hat, desto wertiger ist sein:ihr Urteil über mich. Sprich, das Urteil meiner Führungskraft über mich trägt sehr viel stärker zu meinem Selbstwertgefühl bei als das Urteil von jemand anderem.

Trennung von Aufbau- und Ablauforganisation

Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sich Menschen vorbehaltlos einbringen, ist es daher hilfreich, die disziplinarische Führungskraft aus den Teams herauszulassen. Das heißt explizit NICHT, sie abzuschaffen. Es heißt im ersten Schritt vor allem, eine Trennung zwischen Aufbauorganisation und Ablauforganisation vorzunehmen. Damit verändert sich natürlich der Verantwortungsbereich einer disziplinarischen Führungskraft. Während sie früher für alles verantwortlich war, muss sie in der Matrix die Verantwortung für das operative Geschäft an das Team abgeben. Was bleibt dann noch, mögen sich einige fragen.

  • Das Arbeiten AM System, sprich: die Rahmenbedingungen herzustellen, damit Teams in die Höchstleistung kommen können. Hier ist gerade in einer agilen Transformation eine Unmenge an Hindernissen zu reflektieren und zu beseitigen.
  • Die Pflicht, sich um den einzelnen Menschen zu kümmern. All das, wofür sonst nie genügend Zeit da war: Mitarbeiter:innengespräche führen, bei Sorgen und Problemen unterstützen, Entwicklung ermöglichen und einfach „da sein“. Denn nur zu häufig geraten die Bedürfnisse des:der Einzelnen im radikalen Teamkontext stark ins Hintertreffen, wodurch der Fokus auf den:die Einzelne:n eine besondere Relevanz bekommt.

 

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AutorInnen dieses Beitrags
Jennifer Rolle
Management Consultant

Seit 2016 verstärkt Jenni das HR Pioneers Team und bringt ihre Expertise vornehmlich in der Begleitung von agilen Transformationen, Agile Leadership, Begleitung von agilen Teams und Schulung verschiedener agiler Rollen ein.


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