Die 11. Agile HR Conference war geprägt vom hybriden Aufbau, dem Schwerpunkt Führung und der Freude am Menschen. Ein Bericht aus der Transformationswerkstatt (Fotos: Marc Thürbach).
Gleich mal vorweg: Es hat super geklappt, das mit dem Hybriden. Die positive Stimmung übertrug sich gegenseitig. Alle waren verbunden – thematisch wie menschlich. Um Letzteres ging es vor allem in den Kölner Balloni-Hallen: mal wieder unter Menschen sein, mal wieder miteinander lachen, reden, Mimik und Gestus des Gegenübers ohne Bildschirm dazwischen wahrnehmen.
Auch die Speaker:innen genossen den Austausch in persönlicher Nähe: Susanne Schneider (li.) und Dunja Böckling (re.) von der Börsenvereinsgruppe des deutschen Buchhandels mit Nicole Häffner von SAP (Mitte) im Gespräch.
Der Mensch in der Transformation
Ja, der Mensch. Der ist schon ausschlaggebend, irgendwie. Immer dabei in allem, und wenn es in einem Gefühl des Vermissens ist, wie in den letzten zwei Jahren. Auch man selbst wird sich nicht los. Und so ist in der Transformation der Mensch ein wichtiger Faktor, mal befeuernd, mal verhindernd. Schon länger stellen wir ihn über die Methoden. Jetzt wird es Zeit, Theorien und Modelle ebenfalls weiter in den Hintergrund zu verbannen. Setzen wir uns mit dem Menschen an sich auseinander, vor allem beim essenziellen Thema Führung. Startpunkt: wir selbst.
Führ doch erstmal Dich selbst!
Unser Gründer und Geschäftsführer André Häusling hatte dies zur Eröffnung der Konferenz aus seiner eigenen Erfahrung in einem Dreiklang zusammengefasst: „Lossagen. Loslassen. Loslegen.“ Es bedarf diverser Aha-Momente, um sich aus alten Mustern zu lösen und neue Wege zu gehen. Und wer führen will, muss sich zunächst mit sich selbst auseinandersetzen. Sehr schön und herzerwärmend ehrlich erzählt von Florian Brönnecke, Gründer der gleichnamigen Zimmerei. Während er sich aufgrund des Wachstums seiner Firma langsam von der Baustelle ins Büro zurückzog, ließ er schwerlich los: „Immer wieder wollte ich von den Mitarbeitenden Fotos von der Baustelle haben. Irgendwann dachte ich: Was rufen die die ganze Zeit an, warum entscheiden sie nicht selbst? Und dann erkannte ich: Du hast es ja auch die ganze Zeit verlangt.“
In Beziehung – auch zum eigenen Körper
In Beziehung sein – das ist eine Dimension von Führung, wie Prof. Dr. Stephan Fischer von der Hochschule Pforzheim und mein Kollege Tillmann Seidel in einer wissenschaftlichen Studie eruierten. Und das fängt bei uns selbst an. Bin ich nicht in Beziehung mit mir selbst, wird es sehr schwierig, mit anderen in echte Beziehung zu treten. Oder wie Eva Bock von der september GmbH es in ihrem vielbeachteten Vortrag formulierte: „Wer empathisch führen will, muss sich selbst spüren lernen.“ Mario Konrad von Ryzon hat sich solch einer Auseinandersetzung mit sich selbst bereits gestellt. Das ließ sich aus dem erkennen, was er zum Thema Führung sagte: “Ich kann unter Druck nicht gut arbeiten, warum sollen das andere können?”. „Verkörpern ist noch krasser als verstehen“, formulierte es Björn Schneider von Hypoport. Und der Begriff zeigt schon, worauf es hinausläuft: Die Sache darf nicht im Kopf stecken bleiben, sondern muss in jeder Zelle des Körpers verankert sein. Bei Ryzon scheint das zu funktionieren. Mario konstatierte: „Die Mitarbeitenden haben in der Pandemie das Unternehmen genauso gefühlt wie ich.“ Was sicher auch mit der Transparenz zu tun hatte, die dort nicht nur ein Schlagwort ist.
Transparenz und Kommunikation
Dem ist jedoch nicht überall so. Viele Vortragende sprachen Transparenz und Kommunikation als zwei grundlegende Probleme der Transformation an. Damit Mitarbeitende in die Selbstorganisation gehen können, brauchen sie alle relevanten Informationen, Zahlen, Daten, Fakten. Doch die Offenlegung ist nur die halbe Miete. Oder wie die Damen von neues handeln es formulierten: „Transparent heißt noch nicht gelesen.“ Bei der EnBW bestand auch Hilde van der Pijl darauf: „Kommunikation ist das A und O. Die muss auf die Zielgruppen abgestimmt werden, und damit muss man früh genug anfangen, um Klarheit zu schaffen und Akzeptanz. Und man darf damit nicht wieder aufhören: Wiederholen, wiederholen, wiederholen!“ Dunja Böckling und Susanne Schneider vom Börsenverein resümierten daher: „Interne Kommunikation und Organisationsentwicklung sind ein Dream-Team!“
Gemach, Gemach!
Durch viele vorgestellte Projekte zog sich die Erkenntnis, dass alles seine Zeit braucht. Geduld ist gefragt. Wir vergessen das immer. Bei der EnBW hat man das verstanden: „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, langsam zu starten. Wir gehen schrittweise vor.“ Mit dem Ergebnis, dass die Menschen mitkommen und sukzessive lernen sowie iterativ gestalten können. So lassen sich die Initiativen sehr partizipativ gestalten. „Beteiligung braucht Zeit“ war auch eine Erkenntnis, die neues handeln auf der Konferenz teilte. Ihre Transformation lief komplett neben dem Alltagsgeschäft und im Nachhinein wissen sie: „Wir hätten mehr Zeit zur Verfügung stellen sollen.“ Denn in vielen Organisationen ist der Arbeitsalltag herausfordernd und außerhalb der Komfortzone. Die Mitarbeitenden warten keinesfalls darauf, endlich aus langweiliger Routine auszubrechen und mal was Neues zu machen. Es kommt schlicht nochmal auf einen herausfordernden Job obendrauf.
Kleine Schritte zum Erfolg
Vielleicht auch deshalb sind es die kleinen Schritte, die wirklich Erfolge bringen. Deshalb gibt es bei den EnBW-Initiativen zeitgleich immer nur eine pro strategische Stoßrichtung. Ein Learning der Region Hannover ergab sich aus der dort veranstalteten Agilen Woche. Die Mitarbeitenden wussten nicht, wie sie neben ihrem Tagesgeschäft all die Angebote wahrnehmen sollten. Jetzt werden die Aktivitäten auf einen Monat verteilt, berichtete Magdalena Hoffmann. Auch bei Hypoport hat man gemerkt, dass die Mühlen des Wandels langsam mahlen: Björn Schneider stellte echte Veränderungen nach vier Jahren fest – und das sei schon die schnelle langsame Variante.
Investition Mensch
Also Eile mit Weile, für und wegen der Menschen. Denn auch bei cosee kommen Mitarbeitende nicht so gebacken an wie gewünscht, sagte Konstantin Diener. Das Unternehmen sorgt selbst dafür, dass Mitarbeitende in der Selbstorganisation zurechtkommen. Unter anderem mit Self Assessments und bewusster sozialer Dichte. Auch im holakratischen Organisationsdesign von Hypoport muss das Unternehmen etwas dafür tun, dass Selbstorganisation nicht falsch wahrgenommen wird im Sinne von: „Endlich kann ich machen, was ich will!“ beziehungsweise „Dann muss ich mich ja nicht mehr um die Menschen mit ihren nickligen Themen kümmern!“. Der Mensch hat in vielen Unternehmen nach wie vor selbst und in seiner Freizeit dafür zu sorgen, dass er klarkommt. Mitarbeitende sollen sich mal eben selbstorganisieren und Verantwortung übernehmen, sich um Gesundheit und Resilienz kümmern, um dann Tag für Tag als aufgefüllte Ressource zur Verfügung zu stehen. Gerade im Anblick der aktuellen und mit Sicherheit weiter anhaltenden Krisen weltweit eine unfassbar kurzsichtige Betrachtung.
Budget für Resilienzstärkung
Damit Mitarbeitende in der jetzigen und zukünftigen Arbeitswelt einen guten Beitrag leisten und selbstorganisiert Verantwortung übernehmen können, müssen auch die Unternehmen in die Verantwortung gehen. John Ruhrmann, Gründer und Managing Director von Bookwire, sprach es ganz konkret aus: „Du musst Weiterbildung und Resilienzstärkung im Budget verankern. Du brauchst dafür Zeit und Geld.“ Es ist eine Investition in die unternehmerische Zukunft: Mario Konrad kam mit Ryzon jedenfalls auch deswegen gut durch die Corona-Zeiten. Bereits zuvor hatten sie dort für die psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden gesorgt. Nur wenn für Methoden, Modelle und Konzepte der Mensch maßgeblich ist, nicht umgekehrt, sind Unternehmen zukunftsfähig. Und nur dann kann die Zukunft auch dem Menschen dienlich sein. Und spannend!