Leading into the future – #1 Haltung entscheidet – nicht

Ein Beitrag von Marcus Minzlaff und Esther Römer

Haltung entscheidet - nicht – Titelbild
Lesedauer 5 Minuten

„Haltung entscheidet nicht“. Dass diese Worte mal über meine Tastatur kommen, hätte ich auch nicht gedacht. Denn oft verfechte ich vehement, wie wichtig Haltung ist. Daher will ich die Überschrift auch gar nicht als einfache Gegenrede verstanden wissen zu all den klugen Aussagen und Beiträgen zum Thema Haltung. Aber die Aussage „Haltung entscheidet“ ist zu kurz gedacht, wir übersehen dabei etwas. Es braucht eine Erweiterung.

Dazu ein Einblick in meinen Beratungsalltag: Kürzlich klagte eine Kundin: „Unser Top Management spricht immer von Augenhöhe, Eigenverantwortung, agilem Mindset. Was wir gerade erleben ist aber das komplette Gegenteil. Die Daumenschrauben werden angezogen, das Management gibt Kommandos. Bei schönem Wetter ist „agile Haltung“ super, aber sobald die Lage schwieriger wird, agieren sie doch wieder anders. Total unglaubwürdig!“

Unglaubwürdig? Ich fragte mich: Was wäre, wenn die Aussagen des Managements zur eigenen Haltung nicht nur vorgeschoben sind? Wenn sie nicht angelesen und zur Schau getragen sind, nur weil es gerade en vogue ist? Wenn sie also tatsächlich stimmen. Und was wäre, wenn in dem, was die Kundin erzählt, dennoch ein wichtiger Hinweis steckt? Nämlich auf etwas, was es braucht, um das Potenzial, das unserer Haltung zugrunde liegt, auch zu realisieren.

Wesentliches zum Thema „Haltung“

Haltung ist etwas Grundsätzliches. Etwas, aus dem heraus wir Menschen agieren und zu dem wir immer wieder zurückkehren. Unser Körper hat eine Haltung. Sie bestimmt, wie wir stehen und sitzen, und welche Bewegungsmuster wir haben, zum Beispiel wenn wir laufen. Mental ist das ähnlich: Unsere Werte, Überzeugungen und unsere Sicht auf die Welt sind grundlegend für unser Verhalten. Haltung ist somit so etwas wie unser Default-Setting. Sie steckt den Rahmen ab von dem, was wir tun.

 

Bei alldem ist Haltung nicht unveränderlich. Sie entwickelt sich weiter im Einklang mit der Entwicklung unserer Sicht auf die Welt. Dabei ersetzen wir nicht einfach die bisherigen Haltungen und Verhaltensweisen durch neue, sondern wir gewinnen zusätzliche Perspektiven und Handlungsoptionen. Das heißt: Wir erweitern unser Repertoire. So werden wir immer besser darin, in Komplexität zu agieren. Bisherige Haltungen bleiben in uns abgespeichert, – auch wenn wir sie zwischenzeitlich als überholt ablehnen mögen.


Haltung in Stresssituationen

Eine super Sache also. Nur taugt eine reife Haltung allein bis zur nächsten Krise. Dann wird es spannend. Sobald wir richtig unter Stress geraten, müssen wir uns bewähren: Wie gut gelingt es uns dann, das volle Potenzial unserer Haltung auszuschöpfen? Und wenn es drunter und drüber geht und einfache Antworten nicht taugen… Welchen Anteil haben dann frühere regressive Verhaltensmuster, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, die den komplexen Herausforderungen aber nicht mehr gerecht werden?

Zur Veranschaulichung ein Schwenk in meinen persönlichen Alltag: Als Vater habe ich eine klare Idee, wie ich als Elternteil sein will und meine Kinder mit Güte beim Aufwachsen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten begleiten möchte. Soweit die Haltung im Sinne meines „Potenzials“. Und dann die Realität, erst letzte Woche wieder: Ich bitte meine Tochter, mir beim Aufräumen in der Küche zu helfen. Zehn Minuten übellauniges Gemecker später, wie ungerecht es sei, dass ausgerechnet sie (und nicht ihre Schwestern) helfen müsse, werfe ich sie entnervt aus der Küche. Nicht ohne lautstarke Ankündigung von Sanktionen, dass ich sie nicht vom nächsten Handballtraining abholen würde. Ich verfalle also in regressive, autoritäre Muster und agiere mit Strafen, Drohungen, etc. Menschlich nachvollziehbar, pädagogisch ausbaufähig. Meine Haltung zu Erziehung? Ist definitiv eine andere. In vielen anderen Momenten kann ich auch sehr gut das, was meine Haltung ausmacht, in die Erziehung einbringen. Unter akutem Stress indes gelingt das nicht immer.

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(Foto: Hans Braxmeier, Pixabay.com)

Zitat: „You’re only as good as your inner state“

Führungskräfte in Organisationen sind mittlerweile nonstop unter Stress. Das bringt neue Herausforderungen mit sich: Wie gelingt es, die Organisation strategisch auszurichten, wenn wesentliche ökologische und soziale Grundlagen wie im Zeitraffer wegbrechen? Wenn hoher Handlungsdruck da ist und ein oft noch unklares Zielbild. Hinzu kommen Mitarbeitende, die sich gegen die Veränderung stellen und den Führungskräften Vorwürfe machen, keinen Plan zu haben, wohin das führen soll (Manchmal stimmt das ja auch …). Kolleg:innen, die Unsicherheit spüren, aber Sicherheit und Klarheit wünschen. Schließlich ist die Welt doch für alle schon komplex genug!

Wir müssen unsere innere Verfassung trainieren

Was bedeuten all diese Herausforderungen für die Führungsarbeit? (Wie) Kann Führung da überhaupt noch gelingen? Zunächst: Die reifste Haltung hilft nichts, wenn ich nicht auf sie zugreifen kann. Und natürlich ist auch eine zeitgemäße Haltung wichtig: Wenn ich keine Sicht auf die Welt und kein Wertegerüst habe, das den heutigen Herausforderungen in der Welt gerecht wird, dann gibt’s da auch nichts zum Zugreifen. Vor allem aber: Wir agieren nur so gut, wie es unsere innere Verfassung ist!

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(Foto: Oluremi Adebayo, Pexels.com)

 

Die innere Verfassung zu trainieren ist somit ein genauso entscheidender Schlüssel wie es die Haltung selbst ist. Ausgehend von diesem Gedanken sollten wir uns immer wieder fragen, was gerade in uns vorherrscht:

  • Neugierde oder Verschließen? Mir andere Perspektiven zumuten oder aus dem Dialog rausgehen, wenn es „unerträglich“ wird? So manche Debatte um Corona und Impfungen, zum Beispiel, stellt uns allseits auf eine harte Probe, einander mit offenem Herzen noch zuzuhören.
  • Mitgefühl oder Ausgrenzung? Mit dem Herzen verstehen wollen oder schnelle Bewertungen fällen? „Die sind halt noch nicht so weit, die haben das agile Mindset noch nicht“, höre ich oft, wenn es darum geht, warum manche Teams sich gegen andere Arbeitsweisen sträuben. (Offen gesagt: Ich frage mich dann meist, wie „agil“ die Haltung ist, die derlei Aussagen hervorbringt.)
  • Mut oder Angst? Neues riskieren oder Analysen starten, aus denen abgeleitet werden kann, was das Richtige zu tun ist? Andere mitnehmen wollen, damit man nicht allein dasteht?

Alles davon ist legitim. Aber die erstgenannten Fähigkeiten braucht es noch viel mehr als bisher. Sonst können wir das Potenzial unserer Haltung gar nicht nutzen. Es ist kein probates Mittel, uns von den Realitäten um uns herum oder unseren Gefühlen abzuschneiden. Weder Ignorieren noch Rationalisieren helfen uns, – gerade, wenn wir den vollen Zugang brauchen zu Mitgefühl, einem freien Kopf, zu unserer Intuition. Vielmehr sind Neugierde, Mitgefühl, Mut die drei ganz entscheidenden „inneren Muskeln“, die es zu kultivieren gilt. Sie sollen nicht nur bei „schönem Wetter“ wirken, sondern genau dann, wenn es richtig dicke kommt.

Genau hierin lag übrigens auch der Knackpunkt bei dem erwähnten Fall meiner Kundin: In den Tagen nach dem Telefonat verstärkte sich bei mir der Eindruck, dass das Top Management kein Schön-Wetter-Gerede von sich gibt. Die Haltung war also gar nicht der entscheidende Engpass, sondern die „inneren Muskeln“ von Mut, Mitgefühl und Neugierde waren nicht gut trainiert. So rutschten die Führungskräfte in regressive Verhaltensweisen, obwohl sie es eigentlich besser könnten. Die „Formel“ lautet also:

Haltung + innerer Zustand = Verhalten

Unser Ziel sollte es sein, eine Haltung zu entwickeln, die den komplexen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird. 2022 wird eine zusätzliche Herausforderung immer dringlicher: Wie bleibe ich offen, mitfühlend, verbunden und aus meinem vollen Potenzial handlungsfähig – genau dann, wenn die Zeiten stürmisch sind?

Wie wir gesehen haben, ist es wichtig, die Fähigkeiten in uns zu trainieren, die uns aus dem reaktiven Muster – Flucht, Kampf, Starre – heraushalten. Die uns friedlich und mit innerer Ruhe den – manchmal haarsträubenden – Realitäten ins Auge blicken lassen. Denn: Was letztlich den Unterschied macht, ist unser Verhalten. Dieses wird von unserer Haltung beeinflusst, genauso wie von unserer inneren Verfassung. Die eigene Haltung, der momentane innere Zustand, das Verhalten – all das ist untrennbar miteinander verbunden mit zahlreichen Wechselwirkungen in alle Richtungen zugleich.

Fazit: Ein Fokus auf Haltung hilft uns nicht, wenn wir dabei den anderen Faktor übersehen: Es kommt darauf an, wie gut Du Deine „inneren Muskeln“ Neugierde, Mitgefühl und Mut trainiert hast. Durch sie bleibst Du mit Deiner Haltung auch in schwierigen Zeiten wirksam.

Dieser Beitrag ist Teil der Führungsthesen von Marcus Minzlaff und Esther Römer. Hier findest Du den Intro-Beitrag dazu. Die zweite These „Mehr spüren – weniger führen“ findest Du hier.


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