„Wir sind die, deren ‚purpose‘ in einem Gesetzestext festgehalten ist“

Interview mit Florian Hager

Florian Hager – Interview
Lesedauer 3 Minuten

Als stellvertretender Programmdirektor der ARD in Zeiten von Streaming-Diensten hat Florian Hager sicherlich keinen Beamtenjob. Was jetzt für die Öffentlich-Rechtlichen wichtig ist und was das Ganze mit deutscher Geschichte zu tun hat: hier im Interview.

 

HR Pioneers: Hallo Florian, magst Du ein wenig von Dir erzählen? Was hat Dich dahin gebracht, wo Du heute bist?

Florian Hager: Ich bin stellvertretender Programmdirektor der ARD und in dieser Funktion inhaltlich verantwortlich für die ARD-Mediathek. In meinem bisherigen Berufsleben hatte ich das Glück, recht früh Verantwortung übernehmen zu dürfen, in allen Positionen gestalten zu können und sowohl große Change-Prozesse (bei ARTE und jetzt bei der ARD) als auch eine Neugründung (mit funk) zu verantworten.

Ich würde mich als Programmmanager und als absolut „purpose-driven“ bezeichnen.

HR Pioneers: „Generation Netflix“ – Wer ist das und inwiefern ist sie Dein Thema?

Florian Hager: Netflix hat auf technologischer Seite weltweit Standards gesetzt, was die Online-Nutzung vor allem von Serien und Filmen anbetrifft – bis hin zu einer eigenen Taste auf TV-Fernbedienungen. Darüber hinaus hat Netflix inhaltlich neue Maßstäbe gesetzt und viele Zielgruppen angesprochen, die mit dem TV-Angebot nicht mehr zufrieden waren.

Netflix steht da natürlich stellvertretend für alle Streaming-Plattformen. Und wenn wir als Öffentlich-Rechtliche auch in Zukunft eine Rolle spielen wollen, müssen wir an genau diese Zielgruppen ein inhaltliches Angebot machen.

Florian Hager im Interview

Bild: ARD/Petra Stadler


HR Pioneers: Woran hat die ARD gerade am meisten zu knabbern? Welches Gepäck sollte die ARD auf ihrer Reise in die Zukunft schnellstmöglich loswerden?

Florian Hager: Wir stehen in direktem Wettbewerb mit Konkurrenten wie Spotify und Netflix oder Amazon – Firmen, die auch wegen ihren organisatorischen Aufstellungen in allen Bereichen schnell reagieren können.

Die ARD wurde 1950 gegründet, um die Vergangenheit zu bewältigen. Aus den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges vor allem bezüglich der Gleichschaltung der Medien haben die Alliierten eine komplett dezentrale Struktur entwickelt, die unter keinen Umständen mehr zentral steuerbar sein sollte. Daraus haben sich über die Jahre Machtverhältnisse entwickelt, die uns 70 Jahre später hemmen, obwohl die dezentrale Aufstellung in heutigen Zeiten eigentlich ein absoluter Glücksfall ist.

Alle reden von Organisationen, die „purpose-driven“ sein müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen: Wir sind die einzigen, deren „purpose“ seit 70 Jahren in einem Gesetzestext festgehalten ist. Wir müssen die Realität auch organisatorisch abbilden. Wir bewältigen Gegenwart nur mit einer modernen Unternehmenskultur, mit klaren Rollendefinitionen und Verantwortungen. Dafür müssten viele den Verlust von gefühlter Kontrolle akzeptieren.


HR Pioneers: Wo siehst Du die Medienlandschaft in 5 Jahren? Welche Rolle spielt die ARD dabei?

Florian Hager: Ich bin ein schlechtes Orakel und eine Glaskugel habe ich auch nicht. Fünf Jahre sind bei der aktuellen Geschwindigkeit der Medienlandschaft schwer vorherzusehen. Netflix gibt es ja auch erst seit etwas mehr als fünf Jahren, Disney erst seit letztem Jahr. Ich bin sehr gespannt, wer da in fünf Jahren noch in welcher Form eine Rolle spielen wird.

Im TV-Bereich gibt es den Begriff des „Relevant Sets“: Obwohl hunderte Sender empfangbar sind, entfallen 80 % der TV-Nutzung auf sechs Sender. Wie viele Angebote das in Zukunft im Digitalen sein werden, kann ich nicht sagen. Aber die Öffentlich-Rechtlichen müssen eines davon sein – sonst hilft uns auch unsere unabhängige Finanzierung nicht mehr.

Florian Hager Portrait

Bild: ARD//Laurence Chaperon


HR Pioneers: Warum ist das Thema deines Vortrags auch für Menschen aus anderen Branchen interessant? Was können die Teilnehmenden der Konferenz von Deinem Vortrag mitnehmen?

Florian Hager: Dass seit Jahrzenten sicher geglaubte Wertschöpfungsketten durch den durch Digitalisierung ermöglichten Markteintritt von bis dato komplett branchenfernen Unternehmen aufbrechen und dass über Jahrzehnte im Analogen gelebte Organisationsstrukturen für den Wettbewerb im Digitalen scheitern, gilt ja nicht nur für den Medienbereich.

Ein Schlüssel für uns war und ist der Umbau zu einer responsiven, rollenbasierten Organisation. Die Erfahrungen, wie und was da in einem streng hierarchischen System geht und vor allem was alles nicht geklappt hat, will ich in meinem Vortrag teilen.

HR Pioneers: Beschreibe uns zum Abschluss Deine Wunsch-Arbeitswelt von Morgen in einem Satz.

Florian Hager: Ich wünsche mir eine Arbeitswelt, die die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, die sich deren aktuellen Lebensumständen flexibel anpassen kann und so die jeweiligen Stärken maximal zum Tragen bringt.

Vielen Dank, Florian, für diesen ersten Einblick!

Mehr davon gibt es in seinem Vortrag „Disruption in den Medien – die ARD im Netflix-Modus?“ auf der Agile HR Conference 2021. Die Eintrittskarte dazu erstehst Du hier.


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