Für Christian Felber ermöglicht die Gemeinwohl-Ökonomie echtes Wirtschaften zur Befriedigung der Grundbedürfnisse – im Gegensatz zu BIP, Rendite und Profitdenken. Seine Vision klingt nicht nur heilsam – es zeichnet sich auch in vielen Bereichen ab, dass sie eine praktikable Lösung ist. Auf der Agile HR Conference 2021 gibt es mit Christian einen Vortrag und eine interaktive Session dazu – hier ein erster Vorgeschmack.
HR Pioneers: Christian, was ist der größte Vorteil der Gemeinwohl-Ökonomie gegenüber dem aktuellen Wirtschaftssystem?
Christian: Sie hilft, das Ziel des Wirtschaftens zu erreichen: Die Befriedigung der (Grund-)Bedürfnisse lebender und zukünftiger Generationen innerhalb der planetaren ökologischen Grenzen und unter Achtung der demokratischen Grundwerte. Mit BIP, Profit und Rendite geht das gar nicht, weil diese Erfolgsparameter gar nicht auf das Ziel des Wirtschaftens abstellen. Genau das tun hingegen Gemeinwohl-Produkt, Gemeinwohl-Bilanz und Gemeinwohl-Prüfung. Da passen Zielsetzung und Erfolgsmessung zusammen.
HR Pioneers: Durch die aktuelle Situation hat die Gemeinwohl-Ökonomie besonders viel Zulauf. Zudem gibt es mittlerweile Gesetzesänderungen in Richtung Gemeinwohl – und auch die Festlegung von Gemeinwohl-Bilanzen in Koalitionsvereinbarungen. Glaubst Du, dass es einen wirklichen Bewusstseinswechsel gibt? Kannst Du das an konkreten Beispielen festmachen?
Christian: Die Grüne Erde hat das Firmenbudget für Flüge gestrichen – zugunsten einer besseren Videokonferenz-Infrastruktur. Die Sparda München hat das Bonus-System gestrichen. Gugler verwendet biologisch abbaubare Druckerei-Farben. Münster erstellt für alle Stadtbetriebe eine Gemeinwohl-Bilanz und richtet öffentliche Beschaffung und Wirtschaftsförderung auf die Gemeinwohl-Werte aus. Die Uni Valencia hat einen GWÖ-Lehrstuhl geschaffen …. es tut sich viel, und das Interesse von immer mehr Menschen an tiefer Nachhaltigkeit und echten Werten nimmt zu.
HR Pioneers: Wir werden dieses Jahr unsere erste Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Unsere Gemeinwohl-Beraterin ist Organisationsentwicklerin und meinte, dass die Bilanz dafür auch ein hervorragendes Tool wäre. Wie siehst Du den Mehrwert der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen?
Christian: Als ethischer Kompass ist sie das Organisationsentwicklungstool schlechthin, aber ebenso ein Management-Tool. Sie fördert das Bewusstsein für die Ziele und Werte auf allen Ebenen, hilft bei der Selbstreflexion. Schon jetzt hilft sie, Arbeitskräfte, Kund*innen und Geldgeber*innen anzuziehen, neben öffentlicher Aufmerksamkeit und Wertschätzung.
Und wenn der Gesetzgeber endlich nachzieht mit neuen Anreizen und Regularien, dann sind die GWÖ-Pioniere im Vorteil.
HR Pioneer: Welches Bild malst Du Dir bei Deiner Vision der Gemeinwohl-Ökonomie vor Deinen Augen aus?
Christian: Stabiles Klima, saubere Meere, trinkbare Flüsse, fruchtbare Böden, reichlich Insekten, Schmetterlinge und Vögel. 100 % biologische Landwirtschaft, in der 10 % der Bevölkerung arbeiten. Die meisten Wege sind zu Fuß oder per Rad zu meistern, die Öffis sind kostenlos. Viele kleine Betriebe: Genossenschaften, gemeinnützige GmbHs und die neue Rechtsform Gemeinwohl-Unternehmen. Diese erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz, kooperieren mit anderen Unternehmen und teilen Know-how, Produktionsmittel und liquide Finanzressourcen – wie das Mycorrhizae-System im Wald: das unsichtbare unterirdische wood-wide-web. Es wird zwar arbeitsteilig hergestellt, aber miteinander, und nicht mit dem Ziel des Profits, sondern des guten Lebens für alle.
Die Ungleichheit ist unauffällig, es besteht Gender-Parität, die 20-Stunden-Woche ist die Regel sowie ein Sabbatical pro Dekade. Dieser Zeitwohlstand wird für Yoga, Kinderbetreuung, Pflege, Therapie und Kunst genützt. Care-Arbeit ist generell als öffentliches Gut definiert und wird sowohl mit Anerkennung als auch finanziellem Energieausgleich von der Gesellschaft getragen.
Wem bei diesem Bild vor Augen auch das Herz aufgeht, bekommt auf der Agile HR Conference mehr theoretischen Input – und in einer interaktiven Session die Möglichkeit, sich ganz praktisch mit der Gemeinwohl-Ökonomie auseinanderzusetzen. Hier geht’s zu den Tickets.