Auch der öffentliche Dienst transformiert sich, mindestens genauso arbeitsintensiv wie Unternehmen. Maria Boos und Myrle Dziak-Mahler vom Zentrum für LehrerInnenbildung teilen auf der Agile HR Conference 2020 und hier im Interview ihre Erfahrungen – sowie ihren Blick auf Lehrkräfte in der Corona-Krise.
HR Pioneers: Am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln arbeiten rund 100 Mitarbeitende agil und partizipativ zusammen. Euer Leitmotiv lautet dabei „Wir wollen, dass Menschen bei uns größer werden“. Wie entstand der Gedanke, Euch intern danach auszurichten?
Wir haben in unseren früheren Jobs erlebt, dass wir selbst die besten Ergebnisse erzielen und unsere Arbeitszufriedenheit am höchsten ist, wenn wir selbst gestalten, eigenverantwortlich handeln und dadurch ständig unser Wissen und unsere Kenntnisse erweitern können. In Studien und Managementliteratur zum Thema Leadership haben wir ähnliche Ergebnisse gefunden und wurden in unserem Weg bestärkt. Darüber hinaus sind wir ausgebildete Coaches, haben ein stärkenorientiertes und zutiefst demokratisches Menschenbild.
Aus diesen Gründen ist für uns klar, dass wir im ZfL die Bedingungen dafür schaffen möchten, dass alle Kolleg*innen bei uns größer werden können. Unserer Meinung nach funktioniert dies besonders gut, wenn sie zu eigenverantwortlichen Gestalter*innen werden können, indem sie ihre Stärken in ihre Arbeit einbringen und dann immer weiter ausbauen können. Im Sinne Reinhard Sprengers gehen wir zudem davon aus, dass „Vertrauen führt“.
Im Onboarding-Prozess schauen Teamleitungen und neue Kolleg*innen gemeinsam auf die anstehenden Aufgaben. Diese dürfen neue Kolleg*innen eigenverantwortlich gestalten und können sich bei Fragen an alle Kolleg*innen im Haus wenden. Darüber hinaus nehmen neue Kolleg*innen an verschiedenen Fortbildungen teil, damit sie auch die notwendigen Kompetenzen erwerben, um eigenverantwortlich Entscheidungen treffen zu können.
In herausfordernden Situationen können alle Kolleg*innen auf Supportstrukturen wie Coachings und (präventive) Mediationen zurückgreifen.
HR Pioneers: Inwieweit hat das alles Auswirkungen auf Euren Umgang mit der Corona-Krise gehabt?
Die Grundlagen, die wir für die Zusammenarbeit in den letzten zehn Jahren geschaffen haben, waren enorm wichtig, um die letzten Monate gemeinsam meistern zu können. Mitte März wurde Homeoffice auch bei uns von einem auf den anderen Tag zum Regelfall. Um diese Herausforderung gemeinsam erfolgreich zu bewältigen, waren u. a. die folgenden Aspekte hilfreich:
1) Er herrscht großes Vertrauen zwischen den Kolleg*innen und den Führungskräften.
Die Kolleg*innen waren sich sicher, dass sie sich auch aus dem Homeoffice mit allen Fragen an die Führungskräfte wenden können, und die Führungskräfte haben ihren Mitarbeiter*innen vertraut, dass diese auch zu Hause produktiv an ihren Aufgaben arbeiten.
2) Die Kolleg*innen haben auch vorher eigenverantwortlich gearbeitet.
In einer Mitarbeiter*innen-Befragung, die wir im Jahr 2018 durchgeführt haben, wurde deutlich, dass eigenverantwortliches Arbeiten schon damals sehr wichtig war im ZfL (es stimmten 91 % der Befragten dieser Aussage zu). Als wir im Sommer 2020 erneut eine Mitarbeiter*innen-Befragung durchgeführt haben, stimmten der Aussage sogar 98 % zu.
3) Alle Kolleg*innen im ZfL sind fortbildungsaffin.
Ab der zweiten Woche im Homeoffice haben die Kolleg*innen an digitalen Fortbildungen zum Thema „Arbeiten im Homeoffice in der Corona-Krise“ teilgenommen und die Führungskräfte haben Webinare zu den Themen „Umgang mit Krisensituationen“ und „Digitale Führung“ besucht.
Maria Boos ist Leiterin des Teams Beratung + Interner Coach, Mediatorin und Trainerin am Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln
HR Pioneers: Was sind Eurer Meinung nach die größten aktuellen Herausforderungen für das Zentrum für LehrerInnenbildung, die es noch zu bewältigen gilt?
Wir stellen fest, dass manche Kolleg*innen sich in der Corona-Krise auf dem Arbeitsplatz möglichst wenig Veränderungen wünschen, weil die gesellschaftlichen Veränderungen bereits so groß sind. Es ist aktuell eine Herausforderung, alle Kolleg*innen in den Veränderungsprozess mitzunehmen und ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, wie hybrides Arbeiten bei uns zukünftig aussehen kann. Und wir arbeiten an dem Thema „Eigenverantwortung“: Aktuell machen wir eher Rückschritte auf dem Gebiet und sind in einer Phase der Auseinandersetzung und Neufindung zu dem Thema.
HR Pioneers: Lehrkräfte stehen durch ihren Umgang mit der Corona-Krise stark in der Kritik. Man hat den Eindruck, dass einige sehr kreativ wurden – viele aber in eine Art Schockstarre verfielen. Wie ist Euer Blick darauf?
Es ist sicherlich richtig, dass es große Unterschiede zwischen den Lehrkräften gibt. Unserer Erfahrung nach können sich die Lehrpersonen, die eine hohe Ambiguitätstoleranz haben und auch vor Corona offen für Veränderungen waren, gut auf die ständig wechselnden Regeln an Schule in der Corona-Zeit einlassen und sehen diese Zeit auch als eine Chance. Wer bereit und in der Lage ist, mutig und kreativ zu agieren, findet gute Lösungen für sich, sein Kollegium und die anvertrauten Schüler*innen. Das ist an mehr Schulen der Fall, als man in der öffentlichen Meinung wahrnimmt.
Wir sehen bei unseren Fortbildungen und Schulentwicklungsprojekten, die zurzeit so stark nachgefragt sind wie nie zuvor, dass sich viele Schulen und Lehrkräfte auf den Weg machen. Von Schockstarre spüren wir nichts. Wir sehen eher zwei andere Aspekte: Zum einen gibt es eine große Unsicherheit, weil man nicht genau weiß, wie die Zukunft aussehen wird und wie Schule sich nachhaltig verändern soll und muss. Und zum anderen gibt es systemische Beharrungstendenzen, die es den Schulen und veränderungsbereiten Lehrkräften nicht leicht machen.
Um Lehrkräfte und Schulen bei den Veränderungen zu unterstützen, bieten wir in unserem Schulnetzwerk verschiedene, meist kostenfreie Formate für Studierende und Lehrkräfte an.
Myrle Dzial-Mahler ist Geschäftsführerin des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln
HR Pioneers: Was hat Euch dazu motiviert, Eure Erfahrungen und Perspektive im Rahmen der Agile HR Conference zu teilen?
Wir haben selbst schon sehr viele hilfreiche Anregungen durch den Besuch von verschiedenen Konferenzen erhalten, auch bei der Agile HR Conference. Da es sich manchmal für uns anfühlt, als würden wir ein Mammut schieben, wenn wir agiles Arbeiten im öffentlichen Dienst umsetzen, freuen wir uns sehr unsere Erfahrungen und Perspektiven im Rahmen der Agile HR Conference 2020 teilen zu dürfen.
HR Pioneers: Was können die Teilnehmenden der Konferenz von Eurem Vortrag erwarten?
Unser Vortrag wird aus drei Teilen bestehen:
Die Teilnehmer*innen werden in einem ersten Schritt zwei Modelle kennenlernen, die wir selbst entwickelt haben und für uns die Grundlage für das agile Arbeiten im ZfL sind: das Vier-Gewinnt-Modell und das Fly-Yourself-Modell. In beiden Modellen wird deutlich, wie wir jeden Tag im ZfL arbeiten.
Im zweiten Teil stellen wir die wichtigsten Ergebnisse einer Mitarbeiter*innen-Befragung vor, die wir im Sommer 2020 durchgeführt haben.
Im dritten Teil erhalten die Teilnehmer*innen ganz praktische Tipps, denn wir berichten in Form von sechs Hacks, was wir in den letzten zehn Jahren über agiles Arbeiten im öffentlichen Dienst gelernt haben.