Was denkt sich so ein Mitarbeiter eigentlich? Das ist oft die Frage, die Personalern nicht beantwortet wird. Daher machen wir das hier mal transparent: Wie kommt agiles Onboarding bei unserer neuen Kollegin Wiebke an? Ein Erfahrungsbericht in vier Teilen.
Auf zu neuen Ufern – so steht es auf der Begrüßungskarte der HR Pioneers zu lesen, die an meinem ersten Arbeitstag als neues Mitglied im Team Marketing auf meinem Schreibtisch steht. Mit dem HR Pioneers Coffee Cup, USB-Stick und frischen Blumen. Der Apple ist eingerichtet, die Kollegen begrüßen mich freudig über alle Kommunikationsmöglichkeiten hinweg, meine Patin Franzi weiht mich in erste Wichtigkeiten ein – läuft!
Der Onboarding-Guide
Ebenfalls auf meinen Schreibtisch befindet sich der Onboarding-Guide: Dieser begrüßt mich nochmals freudig und enthält alle Informationen, die ich je brauchen könnte. Das ist erleichternd. Und der schönste Satz darin: „Nutze den gesunden Menschenverstand.“ Wie lange habe ich darauf gewartet, das mal von einem Arbeitgeber zu hören zu bekommen! Bezogen ist er hier auf Reisekosten. Überhaupt werden alle Unsicherheiten, mit denen man in einem neuen Unternehmen zu kämpfen hat, wenn man die ersten Entscheidungen treffen muss, mit dem Guide abgefangen: Wie läuft das mit der Materialbestellung, welche E-Mail-Verteiler gibt es, wie komme ich an einen Telko-Raum und wie geht selbstverantwortliche Weiterbildung ganz praktisch gesehen?
Fragen erwünscht
Wenn doch Fragen verbleiben, stört das verblüffenderweise keinen. Alle reagieren offen und sofort folgen eine Antwort oder eine Aktion. Egal, ob es um Inhalte oder die Handwaschlotion geht. Besonders erleichternd für mich: Bei jedweder Hilflosigkeit meinerseits in Sachen Apple schreitet Patin Franzi zu umgehender Tat und löst das Problem. Puh. Astrid wiederum führt mich in die Insiderjokes der Pioneers ein, unterstützt von Youtube-Filmchen und Pantomime. Und jeden Mittag lerne ich durch meine Kollegen neue gastronomische Angebote in Nippes kennen. Bei den Pionieren wird Wert auf die gemeinsame Mittagspause mit stärkenden Speisen und Kommunikation gelegt. Daumen hoch!
Die „Checkliste Einarbeitung“
Darüber hinaus bin ich dran: Eine Checkliste zur Einarbeitung nennt mir die Experten zu allen unternehmensrelevanten und vor allem inhaltlichen Themen. Es ist an mir selbst, die jeweiligen Kollegen anzusprechen und mit ihnen Termine zur Einarbeitung zu machen. Dazu gehört auch der Besuch von Trainings – für mich nicht nur zur allgemeinen Weiterbildung wichtig, sondern vor allem auch, damit ich als Kommunikatorin weiß, worüber ich schreibe. In meiner Art würde ich gerne gleich alle Trainings hintereinander absolvieren, aber im Zuge des starken Wachstums der Pioniere befinden sich noch Kollegen in der Warteschleife. Also: Gemach!
Der Resonanzprozess
Die Pioniere wären nicht agil, wenn nicht auch das Onboarding in Sprints und mit Retro angelegt wäre. Dem Resonanzprozess nach HR Pioneers-Art liegt ein Fragebogen zugrunde, der auf unseren Unternehmenswerten basiert. Alle Teammitglieder sind aufgerufen, diesen auszufüllen, soweit sie der Ansicht sind, etwas dazu beitragen zu können. Darin geht es um Werte, um die Haltung. Er soll helfen herauszufinden, ob das neue Mitglied tatsächlich ins Team passt. Die ausgefüllten Bögen gehen an das Pioneers-Development-Team und den Paten. Pate und Rookie besprechen das Ergebnis.
Abgründiges Gedankenflackern
Meine Patin Franzi hatte mich darüber informiert, auch im Guide steht das zu lesen. Ich hatte es emotionslos aufgenommen: Na klar, so läuft das hier. Agil halt, bin ich ja. Als jedoch die Zeit des ersten Gesprächs näher rückt, schleichen sich Gedanken in meinen Kopf. Nicht beständig, aber mal der eine, dann der andere. „Sie werden Dich alle beurteilen,“ ist einer davon. Nicht eine einzelne Führungskraft, die vielleicht sowieso nicht ernst zu nehmen ist. Alle. Und diese Kollegen sind ernst zu nehmen! Spooky irgendwie. Stehe ich jetzt ständig unter Beobachtung? Von allen Seiten? Ein für mich noch weitaus gruseligerer Gedanke folgt – wenn auch nur kurz, doch auf dem Fuße: „Könnte man nicht etwas tun, um die Beurteilungen zu beeinflussen?“ Igitt, wie bin ich denn drauf?! Bei manchen Dingen, die ich tue, beschleicht mich wiederum das ungute Gefühl, man könne denken, ich wolle mich einschleimen. Und dann noch das hier: „Vielleicht bin ich gar nicht so toll, wie ich immer dachte.“ Ha! Bisher hatte ich mit Kollegenteams nie Schwierigkeiten und in Sachen Haltung ging ich vorneweg. Aber damit bin ich bei den Pioneers nichts Besonderes mehr. Die richtige Einstellung haben hier nämlich alle. Offenheit: alle. Teamgeist: alle. Können: alle. Weiterbildungswillen: alle. Und, und, und … Muss ich mich in meiner Selbstwahrnehmung neu verorten?
Nach und nach löst sich dieses irritierende Gedankenflackern erfreulicherweise auf. Niemand starrt mich länger als nötig an. Keiner scheint irgendetwas kontrollieren zu wollen. Und es siegt auch das Vertrauen in mich selbst: Ich bin so, wie ich bin, das merkt man doch. Fake fiele auf. Und warum sollte meine Haltung weniger wert sein, nur weil ich (endlich) unter Menschen geraten bin, die eine ähnliche haben? Die letzten komischen Gedanken vertreibt dann das Resonanzgespräch Nummer eins selbst.
Das erste Resonanz-Gespräch mit Learning No. 1
Meine Patin Franzi und meine Kollegin Esther setzen sich mit mir zusammen. Franzi hält zuvor Rücksprache mit André, ob er Feedback beizutragen hat. Auch Feedbackbögen wurden eingereicht – drei. Wie, nur drei? Na ja, gut, wenn ich ehrlich bin: Wer hat in diesem einen Monat schon wirklich mit mir zusammengearbeitet, um mich bewerten zu können? Meine direkten Marketing-Kolleginnen – und die sitzen mir gegenüber. Trotzdem freue ich mich, dass drei weitere Kolleginnen sich die Mühe gemacht haben.
Beim Gespräch zeigt sich eine Macke, die mir das herkömmliche System antrainiert hat: Da irgendwann mal die Mär entstand, man müsse dem Gegenüber zunächst die positiven Rückmeldungen geben, bevor man zur Kritik übergehe, verpasse ich den ersten Teil, weil ich gebannt auf den zweiten warte. Der gar nicht kommt. Denn tatsächlich erhalte ich durchweg positives Feedback, das sich zudem mit dem deckt, was frühere Arbeitskollegen oder Vorgesetzte mich wissen ließen – nur dass ich das meist erst in den letzten Arbeitstagen oder inoffiziell mitgeteilt bekam. Man freut sich, dass ich mich vom ersten Tag an eingefunden, Themen „gepullt“ und von Tag eins an Verantwortung für verschiedene Projekte gezogen habe. Zudem wird positiv angemerkt, dass ich mich proaktiv im Team vernetze. Zusammenarbeit wird hier großgeschrieben. Aber es wäre schön gewesen, ich hätte diesem positiven Feedback mehr Aufmerksamkeit gezollt. Learning Nummer eins!
Plötzlich freies Arbeiten
Von meiner Seite gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Im Gegenteil: Ich bin begeistert, bisweilen überfordert. Nachdem ich jahrelang damit beschäftigt war, gegen Wände zu laufen und an verschlossene Türen zu hämmern, stehe ich nun in der Prärie und darf einfach los galoppieren. Nord, Süd, West, Ost oder kreuz und quer, egal. Mit dem Pferd meiner Wahl: Araber, Isländer, Hannoveraner; Schimmel, Brauner oder gescheckt. Ich musste mich meist gegen Widerstände positionieren und nun sind da keine mehr; meine gerade Haltung war gewohnt schräg im Gegenwind, jetzt ist kein Lüftchen zu spüren und ich kann ohne Kraftaufwand stehen wie ein Berg. Das dauert, bis im Gehirn ankommt „Muskeln entspannen“.
Learning No. 2
Aber etwas ist mir aufgefallen: Auch wenn ich die richtige Haltung an den Tag lege, direkt mit den Kollegen zusammenarbeite und in medias res gehe – ich werde nicht darum herumkommen, mich noch ganz bodenständig mit den agilen Arbeitsweisen vertraut zu machen. Also dann: Ran an die Scrum-Bücher! Und einfach mal Google fragen, was das mit dieser Timebox auf sich hat. Vielleicht sogar die über den Arbeitsalltag bereits vergessene „Checkliste Einarbeitung“ zu Rate ziehen? Oha, wo war die denn jetzt abgeblieben. Die Kollegen haben sich sicher was dabei gedacht …