Agil Richtung Burnout?

Von Mama lernen

Erschöpfung
Lesedauer 2 Minuten

Letztens riet mir meine Mutter zum 100. Mal: „Kind, achte auf Dich! Du musst Dich auch mal erholen! Du arbeitest zu viel! Das macht krank!“ Und ich hörte schon wieder die letzte Apothekenumschau mit dem Aufmacher „Burnout“ aus ihr sprechen.

Und da ist mir der Kragen geplatzt: Gerade meine Mutter, die den Großteil ihres Lebens selbstständig war, mit meinem Vater zusammen immer mehrere Geschäfte gleichzeitig geführt hat, 364 Tage im Jahr im Laden stand und Jahrzehnte nicht mehr als vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht bekommen hat – gerade sie will mir erzählen, dass ich kürzer treten solle und es schlecht für meine Gesundheit sei, so viel zu arbeiten… Meine Mutter ist jetzt 80 Jahre alt und hatte niemals einen Burnout! Was will sie also von mir?

Mit Sinn gegen Burnout

Gerade war das Thema Burnout wieder in den Nachrichten, dass die Zahlen weiter gestiegen seien. Und dann kommen wieder die Achtsamkeitstrainer und Work-Life-Balance-Evangelisten mit ihren Patentrezepten daher. Man müsse Selbstachtsamkeit üben, Arbeit und Privatleben klar voneinander trennen, gesünder essen, Sport treiben usw. Wenn Ihr mich fragt: Bestimmt für einige Menschen sehr hilfreich und notwendig – die Ursachen von Burnout kann das alles jedoch nicht beheben.

Warum hatten meine Eltern nie einen Burnout? Weil sie Sinn in ihrer Arbeit gesehen haben, selbstbestimmt arbeiten konnten und die Qualifikation besaßen, ihre Arbeit gut zu machen, sich auch, wenn nötig, jederzeit weiterbilden konnten – Purpose, Autonomy, Mastery (Danke an Daniel Pink).

Qualität statt Quantität

Ich glaube, dass dies Dinge sind, die vielen Menschen in einem klassischen Unternehmen abgehen. Wenn ich an meine früheren Beschäftigungsverhältnisse denke, wie viele Aufgaben da einfach gemacht werden mussten, in denen ich keinen Sinn gesehen habe, wie wenig ich selbst entscheiden konnte, wann, was, wie und wo ich arbeite und mir für manche Tätigkeiten auch die Qualifikation fehlte (eine Psychologin mit komplexen Excel-Auswertungen behelligen…tstststs).

Das sind alles krank machende Faktoren. Und in so einem Umfeld sind auch zwei Stunden Arbeit täglich zu viel! Es kommt nicht auf die Arbeitsstunden an, sondern auf die empfundene Qualität dieser Arbeitsstunden.

(Fr)Agiles Selbst?

Und nun komme ich endlich zum Thema Agilität und Burnout: In meinen Workshops werde ich häufiger mit der Meinung konfrontiert, dass Agilität zu Burnout führe. Und dass auch die Gewerkschaften schon davor warnen würden.

Wer bei Agilität nur das Ziel sieht, die Produktivität zu steigern und sich nicht damit beschäftigt, wie Agilität das macht, der denkt natürlich an die alten Rezepte: Noch mehr Arbeitsverdichtung, noch mehr Druck, noch schneller arbeiten müssen. Und wer die agilen Methoden, wie Scrum, genau so anwendet, der wird gegebenenfalls auch Burnout-Fälle ernten.

So funktioniert Agilität aber nicht. Ganz im Gegenteil: Agilität erzeugt eine höhere Produktivität dadurch, dass wir…

  • …uns wieder auf den eigentlichen Sinn und Zweck des Unternehmens konzentrieren, dem Kunden einen Nutzen zu liefern und alles Überflüssige, was nicht darauf einzahlt, weglassen.
  • …Vertrauen schenken, autonomes Handeln ermöglichen und langsam machende Kontrollinstrumente abschaffen.
  • …einen großen Schwerpunkt auf das Lernen von- und miteinander legen, um mit den Herausforderungen gesund zu wachsen.

Wer in einem Umfeld arbeitet, das das beherzigt, wird so schnell keinen Burnout bekommen. Und dieses Privileg darf ich glücklicherweise auch für mich bei den HR Pioneers in Anspruch nehmen. Mama, Du kannst beruhigt aufatmen!

AutorInnen dieses Beitrags
Jennifer Rolle
Management Consultant

Seit 2016 verstärkt Jenni das HR Pioneers Team und bringt ihre Expertise vornehmlich in der Begleitung von agilen Transformationen, Agile Leadership, Begleitung von agilen Teams und Schulung verschiedener agiler Rollen ein.


2 Kommentare

  1. Ich erlebe SCRUM eher als Dauer-Sprint über Jahre hinweg, indem ein PO die Arbeitspakete in Häppchen auf dem Weg verteilt.
    Man kommt sich vor wie Hänsel und Gretel, die als agiles Scrum-Team von Brotkrümel zu Brotkrümel sprinten müssen, bevor es vom Vogel weggefressen wird. Alle zwei Wochen wird der Druck neu aufgebaut – und man muss immer rennen. Oder aufgeben und kündigen.

    • Hallo Alexander,
      was Du beschreibst, sehe ich auch häufiger bei meinen Kund:innen. Man führt neue Titel ein und benennt die Meetingformate um, arbeitet aber ansonsten in der gleichen Haltung weiter, wie vorher. Manchmal ist es auch so, dass die ehemaligen oder „noch-immer“ Führungskräfte die Product Owner:innen-Rolle übernommen haben. Das macht es noch schwieriger, Muster zu brechen, da die PO-Rolle insbesondere Führungskräfte dazu verleitet, Aufgaben zu verteilen, wie sie es von früher her gewohnt sind. Und das ist ja auch schwierig, in neue Denk- und Verhaltensmuster zu wechseln.
      Es wird Dich jetzt wahrscheinlich nicht trösten, aber Scrum funktioniert nach ganz anderen Werten und Prinzipien: Der:die Product Owner:in ist dafür da, das große Ganze Richtung Markt im Auge zu behalten und immer wieder an das Team zu vermitteln und zu diskutieren. Und ja, es ist auch seine:ihre Aufgabe, es in kleine Nutzeneinheiten herunterzubrechen und es an das Team zur Umsetzung zu übergeben. Das ist aber eine Verhandlung, bei der sich auch das Team mit seiner Expertise einbringen darf und soll. Und am Ende arbeiten wir im agilen Kontext nach dem Pull-Prinzip. Bedeutet, dass der:die Product Owner:in diese kleinen Nutzeneinheiten zwar priorisiert, aber das Team sagt, wie viel es sich davon in den Sprint ziehen kann.
      Falls Du Interesse hast, stehe ich Dir gerne für einen virtuellen Austausch bei einem Tee oder Kaffee, zur Verfügung. Stell mir einfach einen Termin ein: https://calendly.com/jenni-rolle
      Alles Gute für Dich!
      Jenni

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