Was Justin Bieber und der Kompetenzbegriff gemeinsam haben…

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Erinnern Sie sich mal an die letzten Stellenanzeigen, die Sie aufmerksam studiert haben. Sind sie hier auch in den vergangenen Jahren verstärkt über den Begriff der „Kompetenzen“ gestolpert? Oder vielleicht haben Sie ja bereits schulpflichtige Kinder. Dann dürfte Ihnen auch nicht entgangen sein, dass immer stärker der „kompetenzorientierte Unterricht“ in den Alltag der Schulkinder drängt. Handelt es sich hierbei denn nur um die nächste populärpädagogische Sau, die öffentlichkeitswirksam durchs Dorf getrieben wird? Rollt der „Hype-Train“ jetzt einfach nur durch Bildungseinrichtungen und Personalabteilungen? Ist „Kompetenz“ bloß ein aufgeblasenes Modewort, das seinen Ursprung weniger in erziehungswissenschaftlichem Kontext als in einer findigen Marketingabteilung hat?

Machen wir’s kurz: Der Kompetenzbegriff ist keineswegs eine Modeerscheinung. Eher im Gegenteil. Er ist bereits mindestens so alt wie Trikotwerbung in der Bundesliga oder die Ölkrise. Und wäre er ein Auto, könnten Sie schon lange ein H-Kennzeichen für ihn beantragen. Bereits Anfang der 70er formulierte der Deutsche Bildungsrat den Kompetenzbegriff, da das Lernen in Inhalt und Form dazu beitragen sollte, „dass Menschen im privaten, beruflichen und öffentlichen Bereich (…) eine reflektierte Handlungsfähigkeit erreichen“. Damals gab es bereits die Unterscheidung zwischen Fach-, sozialen und humanen Kompetenzen. Zwischenzeitlich verwendete man zwar eher den Begriff der „Schlüsselqualifikationen“ (Weiterlesen? „Schlüsselqualifikationen in Personalauswahl und Personalentwicklung“ von Eilles-Matthiessen u.a.), in den letzten Jahren kehrte man aber wieder zur Verwendung des Begriffs der Kompetenzen zurück. Fach-, Personal- und Sozialkompetenzen führten demnach zur Ausprägung der Handlungskompetenz. Berufliche Handlungskompetenz war Leitgedanke beruflicher Bildung . Sie konnte als „alle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensbestände des Menschen, die ihn bei der Bewältigung konkreter sowohl vertrauter als auch neuartiger Arbeitsaufgaben selbstorganisiert, aufgabengemäß, zielgerichtet, situationsbedingt und verantwortungsbewusst (…) handlungs- und reaktionsfähig machen und sich in der erfolgreichen Bewältigung konkreter Arbeitsanforderungen zeigen“ (Franke (2005), S.33) beschrieben werden. Trotz der Bandwurmartigkeit dieses Zitats, leuchtet es doch zunächst mal ein. Zündfunke für vielerlei Diskussion hingegen ist, dass weder in der Wissenschaft noch in der Öffentlichkeit eine einheitliche Auffassung darüber vorherrscht, welche Aspekte tatsächlich zum Konzept der Kompetenzen zu zählen sind.

11913429076_b61adfd384_kEin wesentlicher Kritikpunkt, der insbesondere von Erziehungswissenschaftlern vorgebracht wurde war der, dass der Kompetenzbegriff weder theoretisch noch empirisch fundiert sei und sich seit den 70ern Jahren keine wissenschaftliche Substanz hinter dem Begriff gebildet hätte. Theoretische Unterbauten sind bisher eher selten. Darüber hinaus sind viele Kompetenzen nicht unmittelbar beobachtbar und so auch nur schwerlich mit einem geeigneten Messinstrument messbar.

Seitens einiger Wissenschaftler wird darüber hinaus scharf kritisiert, dass der Begriff der Kompetenz immer mehr zur Worthülse verkommt, der je nach Bedarf und Zielsetzung inhaltlich aufgeladen würde. Die Begrifflichkeiten würden willkürlich festgesetzt und führten dadurch zu einer Ambivalenz des Begriffs und durch die Beiläufigkeit der Verwendung außerdem zu einer Entwertung. Die beiden Pädagogen Geißler und Orthey warfen einigen ihrer Kollegen sogar vor, sich der „aufmerksamkeitsheischenden Platzierung neuer Begrifflichkeiten mit verdünnter Zinnsubstanz und geringem Klärungswert“ zu bedienen (Geißler, Orthey (2002), S.69). Dies träfe derzeit insbesondere beim Kompetenzbegriff zu, vorher bereits beim Begriff der „(Schlüssel-)Qualifikation“.

Ein weiterer Kritikpunkt, der seitens einiger Pädagogen laut wurde, war der, dass der Begriff eindeutig ökonomisch eingefärbt sei, gar die „ökonomisierte Variante des Bildungsbegriffs“. So würde durch die Stärkung des Kompetenzbegriffs auf dem Rücken des Bildungssystems eine Interessenpolitik für die Wirtschaft betrieben.

Dass dies bei Wissenschaftlern möglicherweise zu Bauchschmerzen führt, ist nachvollziehbar. Dem würde ich allerdings mit meinem kleinen Latinum entgegnen wollen: Non scholae, sed vitae discimus! (= Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Wussten Sie sicherlich.) Und ein Großteil dieses Lebens findet für die meisten von uns eben bei der Arbeit statt, von daher kann man einer Eignung und Formung für den Arbeitsmarkt möglicherweise auch etwas positives abgewinnen. Vorausgesetzt, man hat keine Tayloristischen Arbeitsverhältnisse klassischer Prägung im Sinn, sondern setzt sich dafür ein, den geeigneten Kandidaten für die passende Stelle zu finden, der sich dort auch gut aufgehoben fühlt und seine Stärken entfalten kann. 

Dieses Prinzip steckt im Grunde auch hinter unserem agilen Kompetenzmodell, welches wir Ihnen in den kommenden Wochen näher bringen wollen und welches die Basis für unsere Agilen Assessment Center und agilen Auswahltage bildet. Uns war es wichtig, jene Kompetenzen (ob man den Begriff nun mag oder nicht) zu identifizieren, die für die erfolgreiche Arbeit im agilen Kontext unerlässlich sind, um darauf basierend Instrumente zu entwickeln, mit denen jene Kompetenzen von Bewerbern und Mitarbeitern ermittelt werden können.

Ich bin Ihnen immer noch eine Antwort schuldig, was nun Justin Bieber eigentlich mit dem Kompetenzbegriff zu tun hat. Nun, beide mussten und müssen regelmäßig relativ viel Gegenwind von Kritikern einstecken, erfreuen sich allerdings bei ihrer jeweiligen Zielgruppe, trotz des Vorwurfs allzu großer Beliebigkeit nach wie vor ungebrochener Popularität. Abgesehen davon kann man sich beiden aufgrund ihrer Präsenz nur schwerlich entziehen, was beim Kompetenzbegriff allerdings deutlich weniger unangenehm sein dürfte und weswegen wir diesem auch hier in den kommenden Wochen unsere Aufmerksamkeit schenken wollen. Sorry, Justin.

Hard Facts oder Soft Skills – Auf welche Kompetenzen kommt es wirklich an?

Mal eine Frage: Was können Sie richtig gut? So richtig, richtig gut? Stellen Sie sich vor, Sie, würden eine Liste anlegen, mit allen Dingen, die Sie richtig, richtig gut können. Und jetzt überlegen Sie mal, wie viele von diesen Dingen Sie in ihrem Job tatsächlich brauchen und wie viele Sie davon anwenden. Viele Ihrer Fähigkeiten bleiben vermutlich einfach ungenutzt. Ist doch schade, oder? Andererseits verfügen Sie aber augenscheinlich über die für Ihren Job benötigten Kompetenzen, sonst würde vermutlich jemand anderes gerade in Ihrem Büro sitzen. Man hat Ihre Kompetenzen erkannt und als bedeutsam für die Erfüllung Ihrer Aufgaben eingeschätzt.

Das große Dilemma an Kompetenzen ist, dass wir sie erkennen müssen, um die Fähigkeiten eines Menschen richtig einschätzen zu können, gleichzeitig ist es kompliziert, diese Kompetenzen valide zu messen und sichtbar zu machen. 

Fachliche Kompetenzen sind in der Regel leicht zu erheben. Dies liegt auch daran, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der Bewerber in der Regel ziemlich genau wissen, welche Fachkenntnisse für die jeweilige Position erforderlich sind, so dass diese durch konkrete Fragen, Szenarien oder Simulationen abgeprüft werden können.

Klassische Assessment Center sind hingegen selten in der Lage, über die fachliche Eignung eines Kandidaten hinaus fundierte und qualifizierte Aussagen über den Bewerber zu treffen.  So sind sie darauf ausgerichtet, die Frage zu beantworten, WAS der Bewerber kann und selten, WIE er arbeitet und sich in bestimmten Situationen verhält. 

Es wird zwar versucht, Soft-Skills ebenfalls mit abzudecken, jedoch mit weniger durchschlagendem Erfolg.

Dies hat vermutlich mehrere Gründe. Zum Einen ist es wie bereits oben angedeutet, deutlich schwieriger, Kompetenzen, die eher im Wesen der Person begründet sind und die oft erst in der Interaktion mit anderen zutage treten, valide zu messen. Zum Anderen sind sich Unternehmen oft selbst nicht sicher, welche (beispielsweise sozialen) Kompetenzen tatsächlich für die Erfüllung der Aufgaben nötig sind und welche dann auch in den Stellenanzeigen auftauchen sollen. Aber gerade in der agilen Welt gehen die Anforderungen an Bewerber deutlich über das rein Fachliche hinaus.

Hierzu eine These: Die Hard Facts, also die fachlichen Kompetenzen bestimmen in der Regel darüber, ob jemand kommt; die Soft Skills darüber, ob er bleibt. Nach Einschätzung über fachliche Eignung wird oft bereits der Daumen über dem Bewerber gehoben oder gesenkt. Wie sich die Person dann innerhalb des Unternehmens verhält und ob sie im Team zurecht kommt, zeigt sich zumeist erst im Verlauf. Dies kann zu teuren Missverständnissen führen.

Gerade in Umwelten mit immer größer werdender Komplexität ist es immer stärker erforderlich, den steigenden Anforderungen mit einem dazu passenden Set aus Kompetenzen zu begegnen, um in diesem Umfeld auch erfolgreich bestehen zu können. Agilität impliziert außerdem einen größeren Fokus auf Kollaboration im Team und erfordert somit ein funktionierendes Team-Gebilde, trotz fachlicher Unterschiede (Stichwort: Interdisziplinarität). Der Fokus sollte deutlich mehr noch darauf liegen, herauszufinden, ob Menschen ins Team passen, oder nicht. Und hier lohnt es sich, neue Wege zu gehen, um die geeigneten Kandidaten zu finden.

Wir von HR Pioneers haben uns mit der Frage, welche Kompetenzen für die erfolgreiche Arbeit in agilen Kontexten insbesondere entscheidend sind, intensiv beschäftigt und haben hierbei acht zentrale agile Kompetenzen ermittelt. Diese Kompetenzen sind ausschlaggebend dafür, in agilen Unternehmen zu bestehen, in agilen Teams erfolgreich zu arbeiten, aber auch agil zu führen.

Agilität – Der (Wahn-)Sinn hat Methode!

Diese acht Kompetenzen sind insgesamt 4 Überkategorien zuzuordnen: Methodenkompetenzen, Soziale Kompetenzen, Personale Kompetenzen und Führungskompetenzen. Wir beginnen mit der ersten Kompetenz, nämlich um agile Methodenkompetenz.

Wenn Sie diesen Artikel bei uns auf der Seite lesen, stehen die Chancen sehr gut, dass sie bereits in Kontakt mit agilen Methoden gekommen sind. Möglicherweise werden diese bei Ihnen im Unternehmen bereits seit Jahren eingesetzt. Vielleicht wurden sie vor kurzem eingeführt, um eine agile Transformation einzuleiten und zu begleiten oder aber es wird drüber nachgedacht, demnächst in diese Richtung zu starten. Agile Methoden zu kennen ist das Eine, sie zu beherrschen das Andere.

Um agile Methodenkompetenz vorweisen zu können, sollten agile Prinzipien wie Scrum oder Kanban gekannt werden. Hierbei handelt es sich um Vorgehensmodelle zur Produkt- oder Projektsteuerung und diese gelten als Verkörperung agiler Werte. Aber auch die mit Scrum verbundenen Instrumente und Artefakte (ob nun Daily Stand-Ups, Reviews, Retros, Plannings, …) sollten möglichst gekannt und beherrscht werden. Vereinfacht gesagt handelt es sich hierbei jeweils um Meetings (in unterschiedlichen Zeitintervallen und mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten), die im Scrum-Prozess stattfinden und den Informationsaustausch unter den beteiligten Personen fördern sollen.

DIY tools set

Noch entscheidender ist allerdings, dass Prinzipien der Agilität, wie etwa die im agilen Manifest erwähnten Werte oder das Pull-Prinzip verinnerlicht wurden und mit Überzeugung verfolgt und unterstützt werden. Dazu gehört auch, dass diese gegenüber Kollegen, aber auch gegenüber Kunden vertreten werden. 

Je nachdem, welche Rolle im agilen Gefüge eingenommen wird, weichen auch die Anwendungsgebiete der agilen Kompetenzen ein Stück weit voneinander ab.

Agilität fußt auf Kooperation und konstruktivem Miteinander. Deswegen gehört zu agiler Methodenkompetenz insbesondere bei Führungskräften auch dazu, die vorhandenen agilen Rollen in ihrer Entwicklung zu unterstützen, ob es sich nun um Product Owner, Mitglieder des Teams oder das Management selbst handelt.

Führungskräfte mit agiler Kompetenz sollten über die Fähigkeit verfügen, Visionen für die agile Entwicklung zu formulieren und haben auch einen Plan, diese Visionen umzusetzen. Sie sind ebenso in der Lage, Rahmenbedingungen zu setzen, in den agiles Arbeiten bestmöglich funktioniert und beseitigen hierbei auch konsequent auftretende Impediments. Darüber haben sie Spaß daran, zu experimentieren und zu lernen, weshalb sie die Arbeit in Iterationen schätzen und erfolgreich praktizieren.

Product Owner, also Produktverantwortliche mit einer hohen agilen Methodenkompetenz sind in der Lage, eine begeisternde Produktvision zu formulieren und die Entwicklung des Produkts entlang dieser Vision konsequent voranzutreiben. Gerade für Product Owner ist eine konsequente Kundenorientierung unerlässlich, weil er nur so konsequent auch die Kundenwünsche und -bedürfnisse erkennen und in Epics und User Stories bestmöglich zu formulieren.

Scrum Master fungieren letztlich auch als Botschafter für die agile Idee im Unternehmen, sind sie hauptsächlich für die Einhaltung der Scrum-Prozesse verantwortlich und fungieren in diesem Zusammenhang auch als Vorbilder, die in der Lage sind, andere Mitarbeiter ebenfalls für Agilität zu begeistern.

Gerade weil Agilität in den meisten Fällen bei den Unternehmen noch nicht zur Selbstverständlichkeit und zum Grundsatz des Handelns und der eigenen Ausrichtung geworden ist, sind insbesondere jene Menschen mit agilen Methodenkompetenzen gefragt, voranzugehen und ihr Unternehmen hin zu mehr Agilität zu verändern.

Veränderungskompetenz – Change we can believe in?

2016 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Unzählige demokratische und republikanische Kandidaten bringen sich bereits seit Monaten in Stellung, um dann von der jeweiligen Seite für die Präsidentschaftswahl aufgestellt zu werden. Barack Obama flog seinerzeit nur so durch die „Primaries“, seine einzige damalige ernstzunehmende Konkurrentin Hillary Clinton zog ihre Kandidatur im Verlaufe zurück, gab an, Obama fortan als Kandidaten zu unterstützen und gilt nunmehr als heißeste Kandidatin auf seine Nachfolge im kommenden Jahr. Wie aber gelang Obama ein solcher Durchmarsch? Wie konnte er nahezu seine gesamte Partei hinter sich bringen?

Eine Antwort darauf ist sicherlich sein unbestreitbares Charisma, gepaart mit einer cleveren Kampagne. Die zwei großen Schlagworte, die seine Kandidatur untermalten, waren „Hope“ und „Change“. Werte, die den Nerv vieler Menschen in den USA trafen und nach denen sich viele Menschen sehnten. Obama versprach den Menschen „Change“, also eine Veränderung (hin zum Guten natürlich) und wollte Ihnen wieder „Hope“, also Hoffnung verleihen. Und die amerikanische Bevölkerung traute ihm dies offensichtlich zu, schließlich wählte sie ihn und nicht John McCain zum Präsidenten. Die Amerikaner attestierten Obama offensichtlich einen hohen Grad an Veränderungskompetenz, mit der er die Probleme der Nation anpacken und verändern sollte. An dieser Stelle soll jetzt nicht bewertet werden, ob und in welchem Maße ihm dies gelungen ist. Vielmehr wollen wir der Veränderungskompetenz selbst auf den Grund gehen, die auch im agilen Kontext eine bedeutende Rolle spielt und deshalb die zweite unserer acht identifizierten agilen Kompetenzen darstellt.

Time for Change

Agile Veränderungskompetenz zeigt sich darin, wie Menschen grundsätzlich zu Veränderungen stehen, wie sie sich in Anbetracht neuer Situationen verhalten, ob sie eher dazu neigen, den Status Quo zu bewahren oder Veränderungen aktiv voranzutreiben, aber auch, ob sie in der Lage sind, andere Menschen ebenfalls für Ihren Weg zu begeistern. Womit wir wieder bei Obama wären: Dieser erschuf eine Aufbruchsstimmung, der sich nur wenige entziehen konnten und die dazu führte, dass immer mehr Menschen in die „Yes, we can“- Rufe einstimmten. Er besaß die Fähigkeit, Menschen mitzureißen und für seinen Weg zu begeistern. Diese Fähigkeit ist auch bei der Umsetzung von Veränderungsprozessen in Unternehmen wichtig. Es wird schwierig werden, Veränderungen durchzusetzen, wenn es nicht gelingt, die (verständlichen) Ängste, Unsicherheiten und Widerstände zu erkennen und umzuwandeln in den Mut und den Willen zur Veränderung. Menschen mit Veränderungskompetenz gelingt jedoch genau dies.

Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass sie in der Lage sind, den Finger zielgenau in die Wunde zu legen und auch kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darum geht, Missstände anzusprechen. Sie unterscheiden sich jedoch von den ebenfalls verbreiteten Miesepetern und Stinkstiefeln darin, dass sie Alternativen aufzeigen, eigene Lösungsansätze entwickeln und hierbei die Fähigkeit zum Querdenken unter Beweis stellen. So werden ausgetretene Pfade auch mal verlassen, um einem neuen, kreativen Ansatz zu folgen. Dies geschieht ohne Furcht vor dem Scheitern oder vor einem vermeintlichen Gesichtsverlust. Vielmehr gilt ein Scheitern als ein nützlicher Teil der Lernerfahrung, der dazu dient, Fehler abzustellen, Lehren zu ziehen und den Prozess zu verbessern und zu verfeinern. Um zu verändern gehört es eben auch dazu, die bisher eingeschlagene Route zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren, ein Experiment zu wagen. Diese Art Pioniergeist beweisen Menschen mit Veränderungskompetenz.

optionen neuer weg - alter trott

Hierbei ist es zumindest nicht von Nachteil, bereits über einen gewissen Erfahrungsschatz zu verfügen und Kenntnisse im Change Management zu haben. Wenn man weiß, auf was es in bestimmten Situationen ankommt und aus vergangenen Situationen bereits Erfolgsfaktoren identifizieren konnte, wird es einem leichter fallen, auch in unbekannten Situationen richtige Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet umgekehrt nicht, dass nicht auch weniger Erfahrene über eine hohe Veränderungskompetenz verfügen können, bisweilen ist eine gewisse „positive Naivität“ sogar von Vorteil, weil auf diese Weise Lösungen gefunden werden, an die sonst nie jemand gedacht hätte. Allerdings verleiht der Faktor „Erfahrung“ auch Sicherheit und Routine in der Entscheidungsfindung, die einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Effekt für einen selbst, aber auch für andere Personen hat, auch was die Fähigkeit zum Mitreißen und zur Begeisterung der Anderen angeht.

Diese Fähigkeit, die Barack Obama zugeschrieben wurde, ist also auch für Menschen im agilen Setting sehr nützlich, denn nur so lässt sich „Change we (=das Unternehmen und die Mitarbeiter) can believe in“ auch erfolgreich und nachhaltig anschieben.

Die hohe Kunst, zu verbinden – Kommunikationskompetenz

Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Dies ist das erste der fünf pragmatischen Axiome, die der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick seinerzeit prägte. Demnach ist jedes menschliche Verhalten eine Form der Kommunikation.

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen beim Arzt im Wartezimmer. Ihnen gegenüber sitzt eine Dame, die regungslos auf ihrem Stuhl sitzt und vor sich hin starrt. Man könnte argumentieren, dass sie nicht kommuniziert. Allerdings strahlt sie durch ihr Verhalten  aus, dass sie keinen Kontakt wünscht und kommuniziert auf diese Weise doch.

Wenn man bedenkt, dass wir Menschen somit jederzeit kommunizieren, wird deutlich, wie wichtig ist, Kommunikation auch tatsächlich zu beherrschen und Kommunikationskompetenz zu besitzen. 

Doch was gehört dazu, um tatsächlich kompetent im Bereich Kommunikation zu sein und was erfordert Agilität hier von uns? Wenn man sich auf die Definition von Canale und Twain bezieht, gliedert sich kommunikative Kompetenz in grammatikalische Kompetenz, also die Beherrschung von Grammatik, Wortschatz, Orthographie, etc.; in soziolinguistische Kompetenz, die Fähigkeit, in Abhängigkeit des sozialen, situativen und kulturellen Kontexts entsprechend kommunizieren zu können; in Diskurskompetenz, also grammatische Formen und Bedeutung so miteinander zu verbinden, dass Texte und Diskurse entstehen; und in strategische Kompetenz, die Fähigkeit jene verbalen und nonverbalen Kommunikationsstrategien anzuwenden, die zum Tragen kommen, wenn Kommunikation zusammengebrochen ist.

Start-Up Business Team bei Diskussion

All dies sind allerdings Grundvoraussetzungen, damit Kommunikation überhaupt gelingt, unabhängig vom Setting oder des Hintergrunds der Beteiligten. Ob in der Freizeit, im Job, auf der Straße, in der Familie: Kommunikation muss in diesen Grundzügen beherrscht werden, um ein möglichst reibungsloses Zusammenleben zu ermöglichen. 

Dass es hin und wieder doch zu erheblichen Kommunikationsstörungen kommt, kann auch damit zu tun haben, dass es bei Kommunikation sowohl einen Sender, als auch einen Empänger der Botschaft gibt. Wenn man der Argumentation des oft zitierten Schulz von Thun folgend hierzu feststellt, dass die Botschaft auf insgesamt vier Ebenen wirkt, wird erkennbar, warum es mit der Kommunikation bisweilen doch nicht ganz einfach ist. Neben der Sachebene (Worum geht es eigentlich?) schwingt in einer Botschaft immer auch ein Beziehungsaspekt mit (Wie stehen Sender und Empfänger zueinander und welche Rolle spielt das in diesem Zusammenhang?). Darüber hinaus ist immer auch ein Appell (Was will der Sender mit dieser Aussage vom Empfänger?) und eine Selbstaussage (Was sagt die Botschaft über den Sender aus?) vorhanden. Implizit werden die Botschaften auf allen vier Ebenen gesendet und auch empfangen und hier kann es zwischen Sender und Empfänger zu Missverständnissen führen.

Trotz dieser Fallstricke, die Kommunikation mit sich bringt, ist sie die Grundvoraussetzung, um Menschen miteinander zu verbinden.

Chrom Network

Im agilen Setting, in dem Menschen nun intensiv miteinander zu tun haben, im Team an Lösungen arbeiten sollen, gibt es eine große Notwendigkeit für funktionierende Kommunikation. Darum wollen wir jetzt genauer darauf schauen, was für eine funktionierende Kommunikation insbesondere im agilen Kontext bedeutsam ist, wie sich also AGILE Kommunikationskompetenz  unter Beweis stellt.

Soziolinguistische Kompetenz gilt es auch im agilen Kontext zu zeigen. In agilen Teams und Unternehmen arbeiten oft Menschen aus unterschiedlichen Hierarchien und Funktionen, mit unterschiedlichen fachlichen Backgrounds miteinander. Insbesondere Führungskräfte sind hier gefragt, diese Menschen zu verbinden und in einen erfolgreichen kommunikativen Austausch zu bringen. In einem cross-funktionalen Team, so wie es sie im agilen Kontext häufiger gibt, ist es wichtig, mit allen Beteiligten auf Augenhöhe kommunizieren und die jeweilige „Sprache“ der einzelnen Bereiche zu beherrschen.

Klarheit und Transparenz sind ebenso wichtig. Im agilen Kontext passiert nichts mehr hinter verschlossenen Türen, umso wichtiger ist es, diese Linie auch in der eigenen Kommunikation zu unterstützen. Informationen zu teilen ist die Basis, hierbei entstehende mögliche Unklarheiten auszuräumen und ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen entscheidendes Merkmal agiler Kommunikationskompetenz.

Kommunikation ist keine Einbahnstraße, und so ist auch das Zuhören eine wesentliche Qualität. Insbesondere das AKTIVE Zuhören ist im agilen Kontext ein nicht zu unterschätzender Skill. So lässt man sich beim aktiven Zuhören auf seinen Gesprächspartner ein, bringt diesem und dem Gesagten Respekt und Wertschätzung entgegen. Gleichzeitig sorgt aktives Zuhören dafür, dass dem Gesagten auch der nötige Raum gegeben wird, um zu wirken, da das aktive Zuhören auch Ausreden Lassen beinhaltet. Aktives Zuhören impliziert Kommunikation auf Augenhöhe und somit genau das, was in einer agilen Organisation und in einem agilen Team ankommen sollte.

There’s no „I“ in „Team“? Doch!

Sie müssen wissen, ich bin ursprünglich ein Kind der 80er Jahre. Geboren bin ich 1984. Da könnten Sie argumentieren, dass ich ja keine allzu große bewusste kulturelle Prägung dieses Jahrzehnts mehr erlebt haben kann, schließlich war das Jahrzehnt ja schon wieder vorbei, als ich in die Grundschule kam. Stimmt natürlich.

Andererseits bin ich mit den TV-Serien und Filmen der 80er sozialisiert worden. „Police Academy“ und „Ferris macht blau“, „Knight Rider“, „Sledge Hammer“ und das „A-Team“. Dürfte Ihnen ja auch alles noch bekannt sein. Gerade das A-Team erfreut sich auch heutzutage nicht nur unter Nostalgikern großer Beliebtheit. Und was war das ein cooles Team: So waren alle grundverschieden, doch jeder brachte spezielle Fähigkeiten mit, die sich hervorragend ergänzten und mit denen das Team seine beste Leistung vollbringen konnte. Der Erfolg basierte stark auf der Interdisziplinarität des Teams. Zwar hatten alle eine Armee-Vergangenheit, jedoch wurde jeder gemäß seiner individuellen Stärken in einer bestimmten Disziplin entsprechend eingesetzt.

There’s no „I“ in Team? Doch! Wenn das „I“ für Interdisziplinarität steht, hat es sogar eine ausgesprochene Daseinsberechtigung. 

Business Team macht High Five im Büro

Nicht nur im Fernsehen, auch im Sport und gerade im Unternehmen ist die richtige Team-Zusammenstellung bedeutsam für den gemeinsamen Erfolg. Ein Fußball-Team, das nur aus Stürmern besteht, wird vermutlich nicht sonderlich erfolgreich sein. Aber selbst wenn eine funktionsbezogene Ausgewogenheit herrscht und jede Position optimal besetzt ist, nützt dies wenig, wenn alle im Team als Einzelkämpfer nur auf sich selbst fokussiert sind und nicht an einem Strang ziehen. Team-Spirit ist entscheidend für den Erfolg eines Teams, fragen Sie mal bei Jogi Löw nach. Der scheute sich schließlich auch nicht, solche Spieler zu Hause zu lassen und nicht mit nach Brasilien zu nehmen, die sich nicht zu 100% in den Dienst der Mannschaft stellten. Und der Erfolg gab ihm Recht.

Natürlich hat eine starke Team-Orientierung eine ganze Menge mit der inneren Haltung und den eigenen Überzeugungen der jeweiligen Person zu tun. Andererseits gibt es auch besondere Fähigkeiten, die Menschen haben können, die Team-Erfolg und insbesondere den Erfolg von agilen Teams begünstigen. Wir haben diese Fähigkeiten als agile Team-Kompetenzen zusammen gefasst.

Eine von diesen Fähigkeiten ist die, den unterschiedlichen Persönlichkeiten und Sicht- und Denkweisen innerhalb des Teams mit Empathie zu begegnen und in der vermeintlichen Unterschiedlichkeit des Teams die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und so die Gemeinschaft zu stärken.

Generell lässt sich sagen, dass Team-Kompetenz dadurch zum Vorschein kommt, wenn aktiv dazu beigetragen wird, die Stärken der einzelnen Team-Mitglieder hervorzuheben und präsent und nutzbar zu machen, beispielsweise durch (An-)Erkennung der Ideen der Team-Mitglieder oder durch die Förderung von Neugier, dem Denken „outside the box“ und der Einsetzung einer auf „inspect and adapt“ basierenden Kultur: Einer Kultur, die das Ausprobieren, das Lernen aus Erfahrungen und das Adaptieren guter Lösungen zur Maxime erhebt.

Diese Art und Weise zu arbeiten verlangt allerdings auch eines: Vertrauen. Team-Kompetenz bedeutet somit auch, in der Lage zu sein, eine Vertrauens- und Feedbackkultur im Team zu etablieren, so dass die Möglichkeit zum Erleben, zum Lernen und auch zum Scheitern eingeräumt wird, dass andererseits aber auch offen sowohl mit Erfolgen als auch mit Misserfolgen umgegangen wird. 

Die Team-Kompetenz zeigt sich somit auch in der Kultur, die im Team herrscht, und die auch dazu führt, dass ein größeres Commitment innerhalb des Teams erkennbar ist, und sich dem Pull-Prinzip entsprechend Aufgaben „gezogen“ werden und proaktiv an Herausforderungen herangegangen wird.

Generell beweisen Menschen mit Team-Kompetenz, dass sie in der Lage sind, die Team-Chemie, sei es durch die Schaffung von Rahmenbedingungen, einer entsprechenden Kultur oder auch nur durch einen offenen und vertrauensvollen Umgang mit den Team-Mitgliedern, positiv zu beeinflussen.

United friendsMan kann sich sicherlich darüber streiten, ob ein Team nun einen klaren Leader braucht, oder ob gerade das Fehlen eines solchen einen positiven Effekt auf das Team ausübt. Gerade im Sport zeigt sich immer wieder, dass eine klare Führungsfigur durchaus hilfreich sein kann, weil diese oftmals die Linie vorgibt, so wie es oft bei Mannschaftskapitänen der Fall ist. Hier ist aber die Besonderheit, dass diese qua definition gleichwertiger Teil des Teams und streng genommen nicht hierarchisch übergeordnet sind. Und auch das „A-Team“ hat mit Hannibal einen klaren Anführer in seinen Reihen. Andererseits finden sich auch genug Beispiele für Teams in denen gerade die Abwesenheit einer Führungsfigur für den besonderen Erfolg des Teams sorgte. Exemplarisch sei hier das Orpheus Chamber Orchestra genannt, das als Orchester bewusst auf einen Dirigenten verzichtet und sich vollständig selbst organisiert. Letztlich sind die Begleitumstände und die Einsatzgebiete der Teams, aber auch die Team-Chemie an sich ausschlaggebend, ob es eines klaren Leaders bedarf oder nicht – pauschale Lösungsvorschläge sind, wie eigentlich bei allem, was mit Menschen zu tun hat, nicht ratsam. In der Regel kristallisieren sich Führungsfiguren innerhalb eines Teams ohnehin von allein heraus und müssen nicht unbedingt erst dazu benannt und berufen werden.

Wie auch immer die personelle Konstellation im Team aussieht, das gemeinsame Ziel sollte der Erfolg des ganzen Teams und das Liefern guter Ergebnisse sein.

Ergebniskompetenz – Wichtig ist auf’m Platz!

Sportwetten sind mittlerweile ein Milliardengeschäft – Zwar sitzen die meisten Wettanbieter im Ausland und können so den deutschen Fiskus umgehen, jene, die aber hier ihre Steuern zahlen, haben im Jahr 2013 bereits über 4 Milliarden Euro Umsatz gemacht.

Dies dürfte in den vergangenen Jahren sogar deutlich angewachsen sein. Mittlerweile kann jeder Fußball-Bundesligist jeweils einen Sportwettenanbieter zu seinen Spitzen-Sponsoren zählen. Wie in jedem wachsenden Markt bemüht man sich auch hier um Produktinnovationen, so kann man mittlerweile auch schon darauf wetten, welche Mannschaft das erste Tor schießt, wer wie viele gelbe Karten erhält, welche Mannschaft zuerst auswechselt usw. Was allerdings die meisten Sportwetter schon aus ureigenem finanziellem Interesse am meisten bewegt, und da unterscheiden sie sich gar nicht so sehr von Unternehmern, ist das Ergebnis. Das mag Veranlagung sein, vermutlich ist in jedem von uns zu einem gewissen Grad ein solcher „Homo Oeconomicus“ zu finden. 

Football soccer match for children. Boys and coach sitting on green grass.

Ein hoher Grad an Ergebnisorientierung ist per se nichts schlechtes. Sollte diesem allerdings alle anderen Interessen untergeordnet werden, ob nun Kunden- oder auch Mitarbeiterinteressen, können empfindliche Reibungen entstehen. Daher sollte die Maxime lauten: Ergebnisorientierung ja – Ergebnisfixierung nein. 

Auch wenn im agilen Kontext Aspekte des konstruktiven Miteinanders eine größere Rolle spielen(wie auch im Agilen Manifest unter „Menschen und Interaktionen vor Prozessen und Werkzeugen“ beschrieben), ist auch eine ausgewiesene Ergebnisorientierung Bestandteil agilen Denkens und Handelns, wie am zentralen Wert „Fokus“ erkennbar wird. Aus diesem Grund haben wir auch „Ergebniskompetenz“ als eine der acht zentralen agilen Kompetenzen identifiziert.

Gerade dieser Fokus ist auch die entscheidende Qualität, die Personen mit einer ausgeprägten Ergebniskompetenz vorweisen können. So sind sie in der Lage Meetings in der Form zu gestalten, dass sie stringent zu wirkungsvollen Ergebnissen geführt werden und nicht zu frustrierenden Kaugummi-Veranstaltungen ausarten, die sich hinziehen, ohne produktiv zu sein. Diese Ergebniserzielung liegt auch darin begründet, dass Menschen mit einer hohen Ergebniskompetenz bereits „in Maßnahmen und Umsetzungen denken“, also schon während des Meetings darüber nachdenken, wie dessen Ergebnisse produktiv nutzbar werden. Die agile Qualität liegt hier besonders darin, dass das richtige Maß zwischen Push und Pull gefunden wird, das Team also auch von sich aus Verantwortung übernimmt, bzw. gezielt dahin entwickelt wird, dass es dies tut. Dazu gehört dann auch, dass wirkungsvolle Entscheidungen getroffen werden und man sich nicht mit halbgaren Lösungen zufrieden gibt.

Um allerdings zu diesen Lösungen zu kommen, ist auch ein hohes analytisches und konzeptionelles Denkvermögen gefragt, um die Themen vollständig durchdringen und ein qualifiziertes Urteil fällen zu können. Dabei hilft auch das hohe fachliche und technische Verständnis, welches, in Abhängigkeit der Verantwortlichkeit ebenfalls vorhanden sein sollte.

Schließlich gelingt es Menschen mit einer hohen Ergebniskompetenz auch, Abmachungen und Vereinbarungen einzuhalten und so Verbindlichkeit und Verlässlichkeit zu leben und auszustrahlen. Sie leben somit einen weiteren zentralen agilen Wert: Commitment. 

Agile Ergebniskompetenz hat also neben fachlicher Expertise und analytischen Fähigkeiten auch viel damit zu tun, wie man sich selbst zu seiner Arbeit positioniert und welche Einstellung man hierzu mitbringt, wie man sich also selbst antreibt. Ein Punkt, den ich im achten Teil der Blogreihe, wenn es um Selbstführungskompetenz geht, gerne wieder aufnehmen möchte.

In der Ruhe (in sich selbst) liegt die Kraft – Selbstführungskompetenz

Vor einiger Zeit habe ich Ihnen ja gebeichtet, dass ich selbst Mitglied der Generation Y bin und ich durchaus einige Attribute, die dieser Gruppe zugeschrieben wird, bei mir wieder erkennen kann. Ich wäre Ihnen nicht böse, wenn Sie sich von diesen Sichtweisen distanzieren wollen, Geschmäcker sind schließlich verschieden und Generationenfragen sind ja schon immer eine Sache für sich gewesen. Wenn es aber um das „Y“ in einem anderen Zusammenhang geht, bin ich mir sicher, dass Sie sich schon eher dazu zählen würden.

Der amerikanische Management-Professor Douglas MacGregor begründete in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Theorien X und Y, die zwei grundlegend unterschiedliche Menschenbilder repräsentierten und als Grundlage für die jeweiligen Führungsphilosophien dienten. Der Mensch gemäß des Menschenbilds X ist generell unwillig zu arbeiten und vermeidet diese, wo es nur geht. Damit er überhaupt seine Ziele erreicht, muss er stark angetrieben werden oder gar mit Sanktionierung bedroht werden. Er vermeidet es, Verantwortung zu übernehmen, muss stattdessen an die Hand genommen werden und es muss jeder Handlungsschritt genau vorgegeben werden, damit er effizient arbeitet. Er ist, wenn überhaupt, ausschließlich extrinsisch zu motivieren.

Das Gegenstück dazu ist der Mensch des Menschenbildes Y. Für ihn ist Arbeit ein Quell der Zufriedenheit, da er leistungsbereit und aus sich selbst heraus motiviert ist. Gleichzeitig ist Arbeit für ihn auch die Möglichkeit für Selbstverwirklichung. Wenn ihm die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden, übernimmt er gern Verantwortung, zeigt Eigeninitiative und lebt seine Kreativität aus. Er identifiziert sich mit den Zielen der Organisation, für die er arbeitet und unterstützt diese durch seine Arbeit. Er ist stark intrinsisch motiviert.

Die wenigsten von uns würden wohl gerne in die Kategorie X eingeordnet werden wollen, geschweige denn für einen Arbeitgeber arbeiten wollen, der seine Mitarbeiter so wahrnimmt und behandelt. Vielmehr würden wir wohl in großer Mehrheit behaupten, dass wir gerne arbeiten, einen Beitrag leisten wollen und unsere Arbeit auch dazu dienen kann, uns selbst zu verwirklichen. Zumindest im Idealfall.

Selbstverantwortung

Erleichternd hierfür ist es, wenn man über Selbstführungskompetenz verfügt, die sechste unserer acht agilen Kompetenzen. Zwar kann diese Kompetenz nichts an den Umständen des Arbeitsplatzes ändern, aber es kann beeinflussen, wie man mit ihnen umgeht. Und gerade im agilen Kontext, in dem größerer Wert auf Selbstorganisation gelegt wird, ist es extrem hilfreich, in der Lage zu sein, sich „selbst zu führen“. Hier schadet es ganz gewiss nicht, wenn man auf gewisse Weise „in sich selbst ruht“.

Gerade in immer komplexer werdenden Umfeldern ist es eine besondere Qualität, die damit verbundene Unsicherheit und die Widerstände aushalten zu können. Der Begriff „Ambiguitätstoleranz“ beschreibt genau diese Fähigkeit. Insbesondere in Situationen, in denen man zwischen mehreren Stühlen steht und sich mit divergierenden Interessen auseinandersetzen muss (als Beispiel Kunde – Produkt – Unternehmen – Team – …), ist diese Ambiguitätstoleranz ein möglicher Schlüssel zur erfolgreichen Interessenvermittlung. Hier hilft es auch, über eine generelle professionelle Gelassenheit und hohe Frustrationstoleranz zu verfügen.

Warum aber spricht man von Selbst„-führung“? Weil der Aspekt der Selbstanleitung in diesem Zusammenhang ein ganz entscheidender ist. Wenn man in hohem Maße eigenverantwortlich agiert, ist es besonders wichtig, sich selbst managen zu können, sich also selbst „im Griff“ zu haben. Weniger im Sinne der Selbstbeherrschung, um sich und andere vor ungeplanten cholerischen Anfällen oder anderen Ausrasten zu bewahren, als vielmehr im Sinne der Fähigkeit, seinen eigenen Fokus gezielt lenken zu können, Prioritäten setzen zu können und auch im Angesicht von Unsicherheit und Komplexität besonnene Entscheidungen zu treffen. Dies setzt allerdings auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus. Sich selbst und seine Handlungen (auch kritisch) zu beurteilen und zu hinterfragen ist die Voraussetzung dafür, aus sich selbst heraus eine Lern-Bereitschaft zu entwickeln und sich selbst zu verbessern.

Sich selbst zu kennen, um sich selbst anzuleiten ist der Schlüssel, um in komplexen Situationen die Ruhe bewahren zu können, die es braucht, um Lösungen zu entwickeln. Damit ist schon ein wesentlicher Schritt gemacht. Es gehören aber immer auch andere dazu.

Führen, um zu Dienen – (Laterale) Führungskompetenz

Die weiter oben beschriebenen agilen Kompetenzen sind, unabhängig von der Rolle, die eine Person innehat, für die erfolgreiche Arbeit im agilen Umfeld bedeutsam. Dies ist auch bei der Kompetenz, um die es dieses Mal konkret gehen soll, so.  Allerdings sind, bedingt durch die jeweilige Rolle, Ausprägung und Anwendungsgebiete bisweilen voneinander abweichend. Diese Kompetenz ist die Führungskompetenz, und hier beginnt bereits die notwendige Differenzierung. Denn wir wollen auch nur von Führungskompetenz sprechen, wenn auch eine Führungsfunktion ausgeübt wird. Gerade im Scrum-Umfeld gibt es aber noch weitere Rollen, in denen Führungsaufgaben übernommen werden, aber ganz ohne disziplinarische Führungsfunktion, wie die Rolle der Scrum Master oder Product Owner. Deshalb sprechen wir hier von „lateraler“ Führungskompetenz. Little boy on a bicycle.

Das Verständnis von Führung ist in beiden Fällen allerdings ein anderes, als es dies klassischerweise bisher war. Führungskräfte (oder besser: Personen mit Führungsaufgaben) im agilen Umfeld begreifen sich im Idealfall als Unterstützer der Mitarbeiter und als Ermöglicher der bestmöglichen Arbeitsbedingungen für optimale Ergebnisse. Sie gestalten die Rahmenbedingungen und die Unternehmenskultur durch ihre Art des Umgangs mit den Mitarbeitern dahingehend entscheidend mit. Sie verankern hier auch eine ausgeprägte Vertrauens- und Feedbackkultur und leisten dadurch einen Beitrag zur Verbesserung der Kommunikationskultur im Unternehmen. Kommunikation findet nunmehr, unabhängig von etwaigen Hierarchiestufen, deutlich spürbar auf Augenhöhe statt, die Bedürfnisse und Ziele der Mitarbeiter werden wahrgenommen, respektiert und in Einklang mit denen des Unternehmens gebracht.

Führungskräfte mit disziplinarischer Führungsverantwortung erkennen die Stärken ihrer Mitarbeiter und unterstützten diese gezielt in der Weiterentwicklung dieser Stärken. Sie führen situativ, d.h. sie sind auch in der Lage, loszulassen und den Mitarbeitern zu vertrauen, eigene Entscheidungen zu treffen und zu vertreten, schützen im Falle des Scheiterns aber Mitarbeiter und Team und spornen diese gleichzeitig zur Verbesserung der Leistung an. Die agile Führungskraft fungiert im Idealfall im besten Sinne als Vorbild.

Product Owner, als Produktverantwortliche immer auch ein Stück weit im Spannungsfeld zwischen Kunden- und Mitarbeiterbedürfnissen, sollten idealerweise auch den Spagat beherrschen um beiden Seiten gerecht zu werden. Hohe Ansprüche an die Produktqualität und die Erfüllung des Kundennutzen einerseits anzulegen und gleichsam das Team dahingehend zu unterstützen, produktiv zu sein und eine starke Performance abzuliefern. Das gelingt dem Product Owner am besten, wenn er selbst im Bereich des Teambuilding und der Teamentwicklung geschult ist und dadurch auch Konflikte früh erkennen und lösen kann. Darüber hinaus kann er dem Team durch seine Expertise auch bei fachlichen Fragen zur Verfügung stehen. Silhouette of helping hand between two climber

Diese Expertise ist im Regelfall auch bei Scrum Mastern oder Agile Mastern, wie sie mittlerweile zunehmend betitelt werden, zu finden. Diese sind zwar oftmals nicht direkt „an der Front“ wie das Team, wissen aber genau über die tägliche Arbeit des Teams bescheid, kennen mögliche Schwierigkeiten, Engpässe oder Fallstricke die auftreten können und sind daher in der Lage, potenzielle Behinderungen oder Beeinträchtigungen für das Team zu erkennen und aus dem Weg zu räumen, um ein erfolgreicheres Arbeiten zu ermöglichen. Genau wie der Product Owner sollte ein Agile Master darin geschult zu sein, ein Team gezielt zu unterstützen und zu entwickeln und die dafür nötigen Instrumente zu beherrschen.

Führung im agilen Kontext heißt also in erster Linie „unterstützen“, „helfen“, „dienen“ und entsprechend des Gedanken des „Servant Leadership“ das Team zu befähigen, selbständig zu funktionieren und selbstverantwortlich Entscheidungen treffen zu können.

Somit ist dann auch wortwörtlich jedem gedient: Das Team übernimmt selbst mehr Verantwortung und hat einen stärkeren Gestaltungsspielraum und die (laterale) Führungskraft kann dadurch sogar die Leistung des Teams steigern und damit auch den Kundennutzen und den Unternehmenserfolg.

Strictly Business?! Unternehmerisch Integrative Denk- und Handlungskompetenz

Der andere, wesentliche Aspekt ist die Kundenorientierung. Die Interessen der Kunden bei allen wesentlichen Unternehmensentscheidungen maßgeblich in den Blick zu nehmen und sich radikal an Kundenbedürfnissen zu orientieren ist ein zentrales Merkmal für agile Unternehmen. Das Angenehme hierbei ist: Eine konsequente Kundenorientierung deckt normalerweise auch andere Arten der Orientierung, die in klassischen Unternehmen eher zu finden sind, ebenfalls mit ab. Orientiert man sich stark an den Bedürfnissen der Kunden, so orientiert man sich gleichzeitig ebenso am Markt, denn die Entwicklungen des Marktes werden maßgeblich durch den Kunden gelenkt. Kann man die Kundenwünsche mit seiner Produktqualität zufriedenstellend erfüllen, wird sich auch das Geschäftsergebnis entsprechend darstellen und Ergebnis- oder Gewinnorientierung sind gleichsam abgedeckt. Man sieht also: der Kunde ist der Schlüssel für den Unternehmenserfolg und der Kunde weiß in der Regel auch am Besten, was er selbst will. Deshalb  gehen agile Unternehmen verstärkt dazu über, den Kunden in die Unternehmensstruktur miteinzubeziehen um ihn und seine Bedürfnisse zu kennen und im Blick zu behalten. 

Einige Unternehmen holen sich in regelmäßigen Abständen Feedback von Kunden ein, lassen diese teilweise auch in internen Meetings teilnehmen und zu Wort kommen. Dort, wo dies nicht so einfach möglich ist, übernimmt der Product Owner als „Kundenbotschafter“ diese Aufgabe und vertritt die Interessen der Kunden innerhalb des Unternehmens und denkt und handelt aus Kundenperspektive, ohne dabei aber die Wirtschaftlichkeit und die Entwicklung der Produkte aus den Augen zu verlieren. Er beweist hier jene Kompetenz, die die achte und damit letzte agile Kompetenz darstellt: Unternehmerisch-integrative Denk- und Handlungskompetenz. Klingt vielleicht zunächst etwas sperrig, aber beschreibt letztlich genau die Fähigkeit, die in einem komplexen Umfeld gefragt ist. Einerseits die Fähigkeit unternehmerisch, also wirtschaftlich im Sinne des Unternehmens, der Mitarbeiter und der Stakeholder zu handeln, und andererseits zwischen den vielen divergierenden Interessen, die zusammenkommen zu vermitteln und integrativ tätig zu werden. Im Idealfall lassen sich die unterschiedlichen Stakeholder-Perspektiven sogar zu einer gemeinsamen Unternehmensausrichtung entwickeln.

Puzzled businessman looking post its on the wall

Bestenfalls gelingt es Personen mit der entsprechenden Kompetenz außerdem, alle Beteiligten für die eingeschlagene agile Strategie zu begeistern und dazu zu bewegen, an diesem Strang mitzuziehen. Dies gelingt auch dadurch, dass die Menschen über Funktionen hinweg miteinander vernetzt werden und ein Wissensaustausch stattfindet, um die Potenziale im Unternehmen auch in alle denkbaren Ecken des Unternehmens zu verteilen.

Menschen, die diese Fähigkeit und zusätzlich noch die in den vergangenen Teilen vorgestellten agilen Kompetenzen besitzen, sind in der Lage, aktiven Einfluss auf den Weg ihres Unternehmens zu nehmen und die Zukunft der Unternehmen erfolgreich mitzugestalten.

Denn: Agile Menschen schaffen agile Unternehmen!

Literatur:

Franke, Guido (2005): Facetten der Kompetenzentwicklung. Hrsg.: Bundesinstitut für Berufsbildung, Bielefeld

Geissler, Karlheinz A.; Orthey, Frank Michael: Kompetenz: Ein Begriff für das verwertbare Ungefähre. In : Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, (2002) 49, S. 69-79.


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